Kartenlegen und Traumdeutung
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Samstag, 21. April 2007

Den inneren Zoo auffüllen

Inneres Team
Ob man nun vom Inneren Team oder von Seelenanteilen spricht: jede Person, jede Atmosphäre, die wir intensiv durchlebt haben, hinterlässt einen Seelenanteil. Im Laufe unseres Lebens sammeln wir so eine ganze Menge Seelenanteile zusammen. In der Psychologie spricht man eher vom Inneren Team, so zum Beispiel Schulz von Thun in seinem Buch "Miteinander reden III – Das »Innere Team« und situationsgerechte Kommunikation". Im Schamanismus spricht man eher von Geistern, unterschiedlichen Energien oder eben Seelenanteilen.
Wie dem auch sei: das Innere Team hat einen festen Platz in der Psychologie bekommen und zahlreiche Therapien arbeiten mit diesem.

Als ich mich vor Jahren mit der Psychologie des Inneren Teams beschäftigt habe, faszinierte sie mich sofort. Ich las und las. Dann aber kam die Enttäuschung. Ich versuchte zu bestimmen, was meine Seelenanteile sind, und hier war mir so einiges überhaupt nicht klar. Liegt das an mir? fragte ich mich. Erst später erkannte ich das Problem. Bücher, die vom Inneren Team sprechen, gehen davon aus, dass man sofort deutlich in sich hineinsehen kann. Das ist – zugegeben – ein wünschenswerter Zustand. Allerdings: dass man sich selbst jeden Moment klar sehen kann, ist doch extrem selten.
Und gerade wenn man damit beginnt, mit dem Inneren Team zu arbeiten, steht man vor großen Problemen. Gerade hat man einen Mitspieler in seiner Seele erkannt, schon ist dieser verschwunden und stattdessen sitzt ein anderer da. Das ist so, als würden in dem Bärenkäfig im Zoo plötzlich Kamele herumspazieren, während der Bär verschwunden ist.

Um hier Klarheit zu schaffen, finde ich folgende Übung sehr nett (und sehr arbeitsintensiv):

SEINEN INNEREN ZOO AUFFÜLLEN
Dazu sucht man sich zunächst wichtige innere Anteile und verwandelt diese in (Phantasie-)Tiere. Jedes Tier bekommt einen Steckbrief, in dem seine Lebensweise beschrieben wird: wann es aktiv wird - ähnlich den tag- und nachtaktiven Tieren hier natürlich die Situationen, in denen es hervorkommt und sich zeigt -, welche Spuren man von ihm finden kann - d.h. welche Handlungen es in unserem Leben hinterlässt (diese bitte ganz konkret beschreiben: Tassen zerschmeißen, zittern, Zigaretten rauchen, in den Park gehen, lachen, die Anna anrufen und stundenlang über Ex-Beziehungen quatschen, etc.) -, wovon sich das Tier ernährt, mit welchen anderen Tieren es in Gemeinschaft lebt, in Symbiose, oder als Parasit.
Diese Übung führt meist dazu, dass man die ersten zehn Steckbriefe immer wieder umschreibt, bis sie einem "passen".

Hier sind einige "Tiere", die euch dazu anregen können, selbst Tiere zu suchen: der duckmäuserische Nettling, der Beziehungsbohrer, der abendliche Gesprächshastling, das Große Schwestertier, das gemeine Verstummerchen, die Scham-Maus, der Nicht-so-wichtig-Quaker, und so weiter ...

Ganz wichtig, wenn man einige der schon vorhandenen Tiere beschrieben hat: man kann sich neue Tiere erfinden, die eigentlich noch nicht im inneren Zoo existieren. Die beschreibt man auch. Zusätzlich muss man hier aber eine Expedition entwerfen, wie man dieses Tier einzufangen gedenkt und mit welchen Schwierigkeiten man rechnet. Mit Expedition ist hier natürlich gemeint, wie man sich diesen neuen Seelenanteil, dieses neue Tier erzeugt. Wenn ihr Lust habt, schreibt eine Geschichte dazu - und habt dabei natürlich möglichst viel Spaß!

Während der erste Teil der Übung manchmal recht mühsam ist - man muss sich durchbeißen und viel mit sich selbst auseinandersetzen -, macht der zweite Teil der Übung sehr viel Spaß. Man kann ja seiner Phantasie freien Lauf lassen und sich die irrwitzigsten Tiere ausdenken: den kleinen und den großen Chef-Auffresser, den gemeinen "Mach's doch selbst!"-Brüller, die südliche Prachteule (auch Lachende Elke genannt - lebt in Symbiose mit dem niedlichen Brad-Pitt-Imitierer), die schreckliche Piratengeiß, den großmäuligen Wutunterdrücker, etc.
Besonders schön ist es natürlich, wenn man sich diesen Zoo dann aufzeichnet.

Viel Spaß dabei,
Adrian

Sonntag, 25. März 2007

Blog: Liebe und Partnerschaft

Ich freue mich ja immer wieder, wenn ich einen Blog finde, der gut ist. Gut, das heißt: informativ. (Unschöne Blogs sind solche, die nur mit langweiligen Tagessachen vollgeschrieben werden oder mit pseudo-informativen Informationen.)

Hier nun ein wundervoller Blog: Erfüllte Beziehungen.
Die Psychotherapeutin Ingrid Strobel schreibt über ein reiches und lebendiges Leben zu zweit, und das ganz hervorragend.
Aber lest ihre Artikel doch einfach selbst. Das überzeugt vielleicht mehr als meine Worte.
Adrian

Montag, 19. März 2007

Gefühlslöcher

"... und dann gerate ich wieder in eins meiner schwarzen Löcher."
(Lupa)

Was hier mit schwarzen Löchern bezeichnet wird, wird dann auch mal gerne depressive Phase genannt. - Depressive Phasen sind - klinisch gesehen - meist etwas anderes. Vielleicht sollte man Bedrücktheit sagen, was dann leider nicht so elegant klingt wie depressive Phase. Nun gut: der Streit um Worte ist meist nicht sonderlich hilfreich und ich bleibe mal bei dem Alltagsgebrauch "depressive Phase". Jedem Leser sollte aber klar sein, dass es sich hier nicht um eine psychiatrische Störung handelt.

Solche depressiven Phasen hat wohl mehr oder weniger jeder Mensch. Ich denke, bei Lupa sind zwei Sachen ausschlaggebend:
1. Sie hat gelernt, diese depressiven Phasen als etwas Gefährliches oder Unfruchtbares wahrzunehmen. Dadurch fühlt sie sich wahrscheinlich noch mehr bedroht, was die depressive Phase verstärkt. Das Depressive verstärkt sich dadurch selbst. Hier haben wir einen klassischen Teufelskreis: was uns nach unten zieht, zieht uns immer mehr nach unten.

2. Depressive Phasen entstehen meist aus nicht trennbaren Gefühlsballungen.
Gefühle regulieren unsere Handlungsimpulse. Depressive Phasen äußern sich auch darin, dass es nur wenige und meist sehr rituelle Handlungsimpulse gibt: aufstehen, wenn der Wecker klingelt, zur Arbeit gehen, die Blumen gießen.
Irgendwelche Gefühle widersprechen hier einander, rangeln darum, wer als erstes seine Impulse durchsetzen darf und legen so den aktiven seelischen Haushalt des Menschen mehr oder weniger lahm. Es kommt zu Handlungsblockaden: der Mensch erlebt eine emotionale Katatonie: alles muss gleichzeitig getan werden und nichts geschieht.

Hier ist es wichtig, aggressive Impulse dagegen zu setzen, beinahe ein Handeln nur um des Handeln willens, und am besten und gefahrlosesten kann man das natürlich mit kreativer Arbeit.
Kreative Arbeit ist hier auch deshalb so wichtig, weil sie besonders wenig reglementiert ist und sich hier erstens die heimlichen Regeln der Depression manifestieren können, und das heißt natürlich auch, dass die Regeln der Blockade, die einzelnen Teile, die sich gegenseitig Matt setzen, deutlicher zum Vorschein kommen; zweitens aber treten hier neue Impulse hinzu: die kreative Arbeit entdeckt sich in ihrem Tun selbst (und neu) und schafft dadurch seelische Mitspieler, die die Depression "verdünnen".

Und was tut man konkret dagegen?
Unter dem Stichwort Kreativität findet ihr in meinem Blog immer mal wieder kleine (und große) Übungen. Bei denen könnt ihr euch bedienen.
Und wieder einmal empfehle ich Julia Camerons Buch "Der Weg des Künstlers". Darin findet ihr ein hervorragendes Programm zum Aktivieren eurer künstlerischen Kräfte.

Viel Spaß und nicht den Kopf hängen lassen,
wünscht euch
Euer Adrian

Dienstag, 13. März 2007

Kartenlegen / Traumdeutung: Dünne Böden und feurige Seelen

Wie schwierig manche Traumsymbole zu fassen sind, möchte ich hier am Beispiel von Werner erzählen.
Ein wesentliches Element in einem der Träume von Werner war das Feuer.
Dazu findet man (als Beispiel) folgende Deutungsmöglichkeiten im Online-Lexikon für Traumdeutung:

Feuer ist in Männerträumen ein stark erotisches Symbol, das Feuer der Leidenschaft.
Freude beim Anblick des Feuers ist ein Zeichen der absoluten Hingabe.
Steht die Hitze des Feuers mehr im Vordergrund, so nehmen Sie starke Gefühle eines Menschen wahr.
Zünden Sie ein Feuer an, gehen Sie eine neue, erotische Beziehung ein.
Vorsicht, wenn ein Haus brennt oder wenn Sie ein Feuer im Ofen löschen, es zeigt eine beginnende Krankheit an, denn das Haus ist immer mit dem Träumer gleichzusetzen.
Feuer und Wasser symbolisieren stets seelische Energie: Feuer reinigt.
Helle Flammen kündigen eine neue Idee an.

Wir werden gleich sehen, dass zumindest einige dieser Deutungen nicht falsch sind, aber ungenau. Wie immer muss man den Traum gut im Leben des Träumers verankern. Allzuoft leistet sich eine Traumdeutung hier nur das Übersetzen der Symbole in ihren lexikalischen Gehalt. Subjektive Bedeutungen lässt die Traumdeutung dabei außer Acht.

Kartenlegen: Das keltische Kreuz
Zunächst aber wollte Werner, als wir das erste Mal miteinander sprachen, die Tarot-Karten gelegt haben. Werner war in zweifacher Weise misstrauisch.
Zum einen glaubte er an den ganzen Kartenzauber nicht. Alles Unfug, sagte er gleich zweimal zu Beginn des Gesprächs. Kartenlegen lasse er sich nur aus Neugierde.
Zum anderen behauptete Werner, ich könne ihm sowieso nicht helfen, und überhaupt könne das niemand, dazu müsse man diesen ganzen Feminismus abschaffen. Seitdem würden die Frauen doch nur noch herumlaufen wie kopflose Hühner.

Ich legte für Werner das keltische Kreuz. (Beim Kartenlegen benutze ich seit zwanzig Jahren das Crowley-Tarot.)
Die ersten vier Karten zeigten Folgendes:
  1. Acht Schwerter (Einmischung) - (darum geht es)
  2. Prinzessin der Scheiben - (das kommt hinzu)
  3. Die Lust - (das wird erkannt)
  4. Königin der Schwerter - (das wird gespürt)
Die Grundsituation
Im Gespräch präsentierte sich Werner als sehr stur. Er ließ nichts an sich heran und zweifelte an allem. Sein Weltbild erschien ihm sehr klar aufgeteilt in Freunde (hatte er keine) und Feinde (alle anderen, vor allem aber Frauen, darunter besonders die Feministinnen und von diesen vor allem seine Ex-Freundinnen).
Werner hatte mich, bevor ich einen Satz sagen konnte, massiv hinterfragt. Zudem war sein Weltbild sowieso durch harte Frontlinien und Grabenkämpfe eingeteilt. Deshalb beschloss ich, ihn frontal mit der Deutung zu konfrontieren.
Dein Weltbild ist verworren, sagte ich ihm, du blockierst dich selbst und bist zu bequem, daran zu arbeiten.
Daran seien nur die Frauen Schuld, sagte Werner. Und höhnte weiter: wenn das nicht in deinen Karten drin steht, dann kannst du den Rest auch nicht sehen.
Darauf hin patzte ich zurück: Wenn er Gesäusel haben wolle, solle er doch bitte nicht bei einem Kartenleger und Wahrsager anrufen. "Ich lege dir die Karten, aber ich werde dir nicht in den Arsch kriechen."
Obwohl ich Werner deutlich angegriffen hatte, legte er nicht auf.

Die dritte Karte, die Lust, lag verkehrt herum: Werners Leben war - wen wundert es? - von depressiven Phasen durchzogen. Er verdiente gut, fühlte sich aber innerlich leer. Sein Leben kam ihm wie eine Wüste vor.
Die Königin der Schwerter zeigte auf den Freiheitsdrang hin, den er innerlich verspürte.
Zur dritten Karte bemerkte Werner: Das hätte ich mir auch selbst sagen können.
Und bei der vierten Karte wurde er wütend: Wissen Sie überhaupt, in was für einer Gesellschaft wir leben? Da kann man nicht einfach frei sein. - Außer diese Frauen natürlich, die haben sich immer alles erlaubt.

Und, krieg ich jetzt eine Frau, oder was? fragte er.
Da ich sowohl in der Einflusskarte (Position 2 - die Prinzessin der Scheiben) als auch in anderen Karten eine ganz gegenteilige Tendenz unter dem harten, abweisenden Werner sah: nämlich den sinnlichen Werner, der in der Lage war, warmherzig und seelenvoll zu sein, und da tatsächlich auch eine Frau in seiner Zukunft lag - wenn auch eine freiheitsliebende -, sagte ich ihm, dass er wieder eine Frau kennen lernen werde. Mit dieser könne er aber nur eine Beziehung führen, wenn er von seinem Kriegszustand ablasse und sich mit seiner Umwelt liebevoller und kreativer auseinandersetze.
Ach, muss ich schon wieder was für die Frau tun? schrie Werner ins Telefon und diesmal legte er wirklich auf.
Angegriffen zu werden schien Werner nichts auszumachen, aber sich für jemanden zu verändern schon.

Träume von dünnen Böden und feurigen Seelen
Ich dachte schon, Werner riefe nie wieder an.
Doch schon am nächsten Tag führte ich ein zweites Gespräch mit ihm und diesmal klang er ganz anders. Diesmal ging es auch nicht um Kartenlegen und seine Zukunft, sondern er wollte einen Traum gedeutet haben. Diesen hatte er in der Nacht zuvor dreimal geträumt, zweimal mit genau demselben Trauminhalt, beim dritten Mal mit einem etwas anderen Ende. Dreimal war er jedoch mit panischer Angst aufgewacht (das erzählte er mir allerdings erst später).

Traum 1 und 2
Werner steigt eine Treppe hoch und steht plötzlich mitten in einem idyllischen Obstgarten. Irgendwo in der Ferne rauscht ein riesiger Wasserfall. Werner denkt "eisig" - er meint damit den Wasserfall -, und wundert sich, dass der Regenbogen darüber wie ein farbloses Broschenmuster aussieht.
Werner geht weiter. Er empfindet das Gehen als seltsam. Er hat unheimliche Angst, weiß aber nicht, wieso. Die Bäume hängen voller Früchte, ganz wild durcheinander. Er sieht Bananen, Äpfel und Melonen dicht nebeneinander hängen. Dann spürt Werner plötzlich einen Hilferuf. Werner sagte tatsächlich "spürt" - ich habe hier nachgefragt -, und nicht "hört". Er geht diesem nach und kommt an ein Loch im Boden. Dort sieht er einen Mann an den Fäden eines ausgefransten Netzes hängen. Der Boden, auf dem die Obstplantage steht, ist nämlich sehr dünn, und ruht auf einem dichtmaschigen Netz. Darunter geht es meilenweit in die Tiefe. Das einzige, was Werner noch erkennen kann, ist, dass dieses Netz wohl zwischen zwei Wolkenkratzern hängen muss.
Jetzt versteht Werner auch, warum das Gehen sich so komisch angefühlt hatte: er stand die ganze Zeit auf schwankendem Boden.
Der Mann bittet Werner noch einmal um Hilfe. Werner versucht den Arm des Mannes zu packen. Dabei rutscht er ab und fällt selbst durch das Loch. Er fällt und fällt. Plötzlich sieht Werner einen flammenden Menschen auf sich zurasen. (Wer hier an die ganzen Verfilmungen von Marvel-Comics denkt, hat natürlich recht - damals lief gerade der erste Teil von Spider-Man in den Kinos und Werner hatte seine ganzen alten Comicheftchen wieder ausgepackt und seine Sammlung um neuere Comics ergänzt.)
Der Fackelmensch packt Werner am Arm. Er stoppt zwar den tödlichen Fall von Werner, dafür aber verbrennt Werner jetzt und rieselt als Asche zu Boden.

Mit diesem eher "idyllischen" Bild endete der Traum: Werner wachte hier auf und verspürte übermächtige Angst.

Traumdeutung Teil 1: Schwankende Böden
Zunächst ist deutlich, dass der Traum eine Mischung aus idyllischen Elementen und Schreckensvisionen ist, wobei die Schreckensvisionen deutlich keine Monster zeigen. Außer dem namenlosen Mann und dem Fackelmenschen tauchen keine anderen belebten Wesen auf. Zu dem Fackelmenschen komme ich später.

Hier ist mir erstmal wichtig, dass der Traum sehr deutlich die seelische Verfassung von Werner anzeigt: unter einer dünnen, blühenden und Früchte tragenden Schicht befindet sich eine bodenlose Leere und eine seelenlose (und vielleicht auch unbelebte) Stadt.
Einige der Traumelemente sind Kulturgut: so ist die Treppe, die in den Garten führt, ein Aufstieg in eine wahrhaftigere Situation - der Traum spricht, im Gegensatz zu Werners eigener, bewusster Beurteilung, die Wahrheit aus.

Zwischenbemerkung zu Traumhelfern
Die seelische Verfassung wird durch zwei Traumhelfer markiert - in der Psychoanalyse spricht man gerne auch von Hilfs-Ichs.
Traumhelfer werden oft mit liebevollen Wesen gleichgesetzt, Engeln, freundlichen Reittieren, Menschen, die dem Traum-Ich heilende Nahrung geben, und so weiter.

Ganz so einfach ist das allerdings nicht.
Traumhelfer sind nicht - wie das häufig behauptet wird - dem Angenehmen verpflichtet. Traumhelfer stehen zwar im Dienste eines gelassenen und weisen Lebens, aber auf dem Weg dorthin können sie teilweise sehr boshafte, aggressive oder befremdliche Züge annehmen.
Wenn der Weg unserer Erkenntnis ein schmerzhafter Weg ist, dann kann der Traumhelfer durchaus jemand sein, der uns auf diesen Weg treibt, oder sogar jemand, der uns Schmerzen zufügt. - Der Fackelmensch - das werden wir gleich sehen - ist ein solcher zwiespältiger Traumhelfer, und das Böse wird uns unter einer recht harmlosen Maske begegnen.

Traumdeutung - Fortsetzung
Der erste Traumhelfer ist der namen- und gesichtslose Mann. Er zeigt die Angst, die Werner sich verbietet, und indem der Mann diese Angst zeigt, muss Werner sie nicht selbst verspüren. Im Gegenteil: an dieser Stelle wird Werner - zumindest sein Traum-Ich - selbst zum Helfer: er beugt sich herab und versucht den Arm des Mannes zu ergreifen.
Dieser Traumhelfer hat also eine dreifache Funktion: er entlastet Werner von seinen verdrängten Gefühlen; zugleich aber erlaubt er sich offen diese Gefühle und deutet damit auf die Wahrheit hin; zum Dritten aber ermöglicht gerade die Hilflosigkeit des Traumhelfers, dass Werner sich - im Traum - in einer Rolle erlebt, die er von sich eigentlich nicht mehr kennt: Werner hilft (und zugleich sagt der Traum natürlich: Hilf dir selbst!).

Dass Werner bei seiner Hilfsaktion abstürzt, wird von Werner zunächst negativ gesehen.
Das kommt davon, so sagt er, wenn man anderen hilft. (An dieser Stelle sieht er noch nicht, dass der andere Mann eigentlich er selbst ist.)

Der Absturz hat hier allerdings auch noch eine andere Bedeutung: er ist eine Reise in das Innere, in den Gefühlshaushalt der Seele. Dieser Gefühlshaushalt ist bei Werner nicht nur bildlich zubetoniert (die Großstadt).

An dieser Stelle merkt Werner auch, dass er zerschellen würde, wenn er eine echte Reise in seine Seele machen würde. Stattdessen "zerschellen" immer seine Beziehungen.
Werner nahm diese Deutung übrigens sehr positiv auf. Oder - was heißt hier positiv? - mit spürbarer Verunsicherung, aber auch Erleichterung. (Was in seinem Fall schon positiv zu werten war.)
Meinst du?, fragte er mich.
Später erzählte er, dass ihm das sehr viel Unbehagen bereitet hat, dieses leere und verwüstete Ich zu sehen. Auf der anderen Seite hatte Werner aber auch genauso viel Angst davor, dass der Traum etwas anderes bedeuten könnte. Er wusste hier nie genau, was er noch bedeuten könnte, aber irgendwie spürte er, dass es etwas viel schlimmeres sein könnte, als eine leere Seele zu haben: um die konnte man sich kümmern.

Aber all dies geschah erst im Laufe unseres Gesprächs.
Zunächst kam hier noch der dritte Traum dazwischen, dessen Ausgang Werner sehr rätselhaft, ja grauenvoll erschien.

Traum 3
Wie gesagt war Werner schon zweimal mit panischer Angst aus demselben Traum aufgewacht. Als er das dritte Mal diesen Traum träumte, erwies sich Werner auf eine seltsame Art und Weise als witzig.
Bis zu dem Punkt, an dem Werner von dem Fackelmenschen erfasst wurde, glich der dritte Traum den beiden anderen Träumen.
Jetzt aber holte Werner eine Plastikflasche hervor, von der Art dieser Plastikflaschen, die man Blumenzerstäuber nennt und mit denen man die Pflanzen einsprüht. Irgendwie wusste er auch, dass das Wasser im Blumenzerstäuber von dem Wasserfall kam. Damit besprühte Werner die Fackel. Das Feuer erlosch, der brennende Mensch zerpuffte zu Asche und - Werner fiel weiter, mit der sicheren Gewissheit, dass er auf dem Boden zerschellen würde.
So schlau also Werner seinen Einfall zusammengeträumt hatte, er nütze ihm garnichts.
Wieder erwachte er, mit rasendem Herzen und schweißgebadet.

Traumdeutung Teil 2: Brennende Seelen
Bei der brennenden Fackel war Werner verwirrt. Mit und ohne ihr ging sein Traum schlecht aus.
Ich sagte Werner, dass der Fackelmensch ein Symbol für den Wandel sei, dass dieser Wandel schmerzhaft, aber notwendig sei. Die Asche wäre seine Angst davor, dass von ihm nichts mehr übrig bliebe, außer eben Asche. Tatsächlich könne er noch nicht sehen, wohin es mit ihm gehe. Die Zukunft sei eben offen.
Werner war nicht überzeugt.
Dann fiel mit ein Gedicht von Friedrich Nietzsche ein:
Ja, ich weiß woher ich stamme,
Ungesättigt gleich der Flamme
glühe und verzehr ich mich.
Licht wird alles, was ich fasse,
Asche alles, was ich lasse,
Flamme bin ich sicherlich.
Darüber musste Werner erstmal nachdenken. Wir beschlossen, an einem anderen Tag weiter zu sprechen.

Die Flamme symbolisierte hier die Fähigkeit, sich zu verändern, also Werners kreative Energie. Werner hatte diese blockiert und deshalb erschien sie ihm als schmerzhaft, wenn er sie berührte.
Die kreative Energie hilft uns auch, andere Menschen zu verstehen und unseren eigenen Weg zu gehen. Werners Unverständnis für andere und die Blockierung seines eigenen Weges zeigten deutlich, dass er seine kreative Energie verloren hatte. Sein privates Leben war ihm zu einem Stellungskrieg mit dem anderen Geschlecht geworden. Werner selbst musste hier notwendig depressive Phasen durchlaufen. Er hatte nicht den inneren Reichtum, um die Schwermut abzuwehren.
Drei Tage später meldete sich Werner bei mir.
Er habe, so sagte er, meine Deutung akzeptiert.
Seine Stimme klang dabei so tonlos, dass mir dieses Zugeständnis wie eine Abbitte vorkam: ich sollte ihm brav den Kopf tätscheln, ihn als "geheilt" entlassen und er könne dann so weitermachen wie bisher.

Ich ging darauf nicht ein.
Etwas an dem Traum haben wir, sagte ich zu ihm, noch nicht gelöst: das Rätsel des Wassers.
Ich lenkte Werners Aufmerksamkeit noch einmal auf den Anfang des Traumes. Er denkt, als er den Wasserfall sieht, das Wort "eisig".
Alles, was Werner dazu einfällt, sind seine Ex-Freundinnen.

Er, Werner, hat ihnen Gefühlskälte vorgeworfen, während sie ihm umgekehrt dasselbe an den Kopf geschmissen haben.
Also, sagte ich - etwas übereilt, wie ich zugeben muss -, symbolisiert der Wasserfall eine Frau. Welche Frau ist es denn auf keinen Fall?
Meine Mutter, sagte Werner wie aus der Pistole geschossen.

Werner hatte das Gespräch mit einem leicht trotzigen Tonfall begonnen. An dieser Stelle überhastete er sich.
Meine Frage nach der Frau ist übrigens ein "Trick" gewesen. Wie Sigmund Freud in seinem Aufsatz "Die Verneinung" ausführt, kennt unser Unbewusstes kein Nein. Indem ich Werner eine Frage mit Verneinung gestellt habe, hat sein Unbewusstes ein "Ja" daraus machen können, ohne dass ihm das bewusst war.

Werners Eltern
Werners Eltern waren beide schon tot. Er hatte noch eine ältere Schwester, zu der er keinen Kontakt hatte.
Die Mutter beschrieb Werner als streng und gerecht, aber auch als liebevoll. Der Vater sei nie dagewesen.
Die Schwester sei, so erzählte Werner, nach einem furchtbaren Streit mit der Mutter ausgezogen und habe einige Jahre mit einem Taugenichts die Welt bereist. Allerdings kannte Werner diesen Mann nicht. Da die Schwester mittlerweile verheiratet war und zwei halberwachsene Kinder hatte, sagte ich, seine Schwester habe es ja irgendwie geschafft.
Ja, aber das wär nichts, warf Werner hier ein. Seine Schwester sei ja eigentlich eine Schlampe, völlig gefühlskalt, die sei nicht mal zur Beerdigung der Eltern gekommen, und die hielte sich ja für sowas von emanzipiert und wahrscheinlich würde sie ihren Mann unterdrücken, ... und so ging es in einem fort.
Werner wurde richtig böse. Für mich war sehr klar: er gönnte seiner Schwester nicht, dass sie sich von den Eltern gelöst hatte.

Hier drehte sich nun unser Gespräch zunächst darum, wie er Frauen bewertet. Für mich ging es hier vor allem darum, welche Beziehung hier Werner immer wieder mit seinen Freundinnen inszenierte.
Ganz grob gesagt passierte folgendes: er verliebte sich in eine "Ersatz-Schwester", behandelte aber die Frau dann so, als ob sie wie seine Mutter werden könnten. Denn tatsächlich ist die Mutter ziemlich bösartig gewesen. Das hatte Werner später, nachdem er längere Zeit Therapie gemacht hat, herausgefunden. Er hatte es bis dahin schlichtweg "vergessen".

In unserem Gespräch wies ich Werner lediglich darauf hin, dass mir das sehr nach Neid klinge, was er über seine Schwester sagte.
Seine Schwester hatte sich von der Mutter gelöst. Er dagegen hatte sich an sie gefesselt, und sich ihr immer brav und folgsam gezeigt.
Später - und auch im Rahmen der Therapie - entdeckte Werner außerdem, dass er auf seinen Vater einen entsetzlichen Hass empfand. Der Vater hatte neben seiner Ehe zahlreiche Affairen gehabt. Um seinen Sohn hatte er sich nicht gekümmert. Der Vater hatte sich auf seine Weise "befreit" - später starb er, nachdem er Jahre mit depressiver Verstimmung im Bett verbracht hatte.

Wir schlossen an diesem Tag unser Gespräch damit, dass das Wasser im Traum etwas sehr zweideutiges war. Es löschte die verwandelnden Flammen, aber rettete nicht.
Ich empfahl Werner - zunächst sehr zu seinem Entsetzen -, den Traum noch mehrmals ganz bewusst zu träumen. Dazu sollte er ein Traumtagebuch führen.

Der neue Traum
Fast zwei Wochen später erzählte mir Werner bei unserer nächsten Begegnung folgendes:
Zunächst habe er den Traum, wie er ihn zuerst geträumt hatte, noch mehrmals geträumt, allerdings ohne diese Angst. Ich habe, so sagte er, meiner Fackel einfach Asbesthandschuhe verpasst. (Hier mussten wir beide lachen.)
Dann aber dachte er sich, dass diese Asbesthandschuhe der menschlichen Fackel ihren Sinn nehmen würden. Also träumte er den nächsten Traum wieder wie zuerst.
Diesmal aber verbrannte ihn die Fackel nicht, sondern er verschmolz mit ihr.
Danach wachte er mehrmals frierend (!) auf.

Werner erlebte sehr unruhige Tage. Er war unkonzentriert und fing schließlich eine Therapie an.

Zu Beginn der Therapie wollte er täglich die Karten gelegt haben, manchmal sogar zweimal. Er arbeitete stark an sich selbst, und wollte "endlich Erfolge sehen". Statt auf sich selbst zu horchen, sollte ich ihm dafür herhalten. Ich verweigerte ihm das.
Zunächst hörte er noch auf meine Mahnung, das Kartenlegen nicht überzustrapazieren. Auch nickte er erstmal ab, als ich ihm sagte, er nehme die Karten zu wichtig.
Trotzdem rief er weiter hartnäckig an und fragte nach seiner Zukunft. Und ich blockte das ebenso hartnäckig ab. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass viele Menschen aufhören, an sich selbst zu arbeiten, wenn man ihnen Erfolge voraussagt. Dass Erfolge von den Karten oft an Bedingungen geknüpft werden, wollen sie nicht mehr hören. - Bei Werner hatte ich nicht nur das Gefühl, dass eine erste Verbesserung ihn hätte alles hinschmeißen lassen; bei ihm wusste ich das. Also verweigerte ich jede Auskunft. - Zwar rief er dann auch bei anderen Kartenlegern an, verstrickte diese aber in skeptische und fruchtlose Gespräche. Ich sei, schmeichelte er mir, der Einzige, der ihm wirklich die Karten legen könne.

Schließlich riss Werner auch bei mir der Geduldsfaden. Er brüllte mich an: Du brennst mich garnicht. - Er wollte wohl Du kennst mich garnicht! sagen.
Der Versprecher zeigte hier, dass ich in die Rolle eines Hilfstherapeuten gekommen war: als ich bei diesem Spiel nicht mitspielte, wies er mir eine ebenso zwiespältige Rolle wie der menschlichen Fackel zu: "Mörder" und Retter in einem. Und dann "löschte" er mich zunächst.

Erst fast ein Jahr später meldete sich Werner erneut.
Es ging ihm wesentlich besser. Er hatte nach einiger Zeit seine Therapie durch "freies Figurenmalen" ergänzt - einer kreativen Technik, die ich ihm damals empfohlen hatte.

Diesmal wollte er wissen, ob er bei einer Frau Chancen hatte. Er hatte sich nämlich Hals über Kopf verliebt. Das Kartenlegen zeigte, dass er sie erobern könne und das tat er dann auch. Sehr viel offener und freundlicher übrigens als früher.

Abschluss
Die meisten Träume sind nicht so dramatisch ins Leben eingebaut wie der von Werner.
Werner stand an einem Scheideweg zwischen Weitermachen und Sich-ändern.

Ich war ziemlich froh, dass er sich in dieser Situation einen Therapeuten gesucht hatte. Jeder Leser, der sich ein wenig mit Psychologie und Psychoanalyse auskennt, weiß, wie grenzwertig hier unsere Arbeit war.

Ich hoffe aber, dass ich hier Folgendes deutlich machen konnte:
  1. Das Traumdeutungslexikon hat hier zwar Feuer als seelische Energie gedeutet, aber ebenso sollte das Wasser hier seelische Energie bedeuten. An dieser Stelle hat das Lexikon nicht mit der Gewitztheit von Werner gerechnet. Wasser war hier vollkommen negativ besetzt als eine Maske der bösartigen Mutter.
  2. Das Feuer dagegen war hier nicht nur reinigende Energie, sondern - genauer - kreative Energie.
  3. Im Traumdeutungslexikon steht auch zum Beispiel, dass ein brennendes Haus eine Krankheit ankündigt. Es ist zwar richtig, dass Häuser für den Träumer stehen können - das Haus ist hier also eine Verkleidung für das Traum-Ich - aber nicht immer stimmt diese Deutung und nicht immer muss ein brennendes Haus auf eine Krankheit hindeuten. Ehrlich gesagt: meist ist diese Deutung sogar gefährlicher Unsinn. - In unserem Fall nämlich weist das Verbrennen auf eine Wandlung hin - einen Phönix aus der Asche. Und oft ist das brennende Haus Symbol für eine Transformation und keineswegs für eine Krankheit.
  4. Träume sind große Meister darin, ihre eigentliche Aussage zu maskieren. Ich habe selten Träume erlebt, die wirklich einem Traumdeutungslexikon gehorchen. Selbst die Traumdeutung von Werner und mir hat nur bestimmte Teile des Traumes angeschnitten, und vieles, was wir besprochen hatten, habe ich hier auch weggelassen. So war der seltsame Regenbogen ein Zeichen für die kalte Eleganz der Mutter. Das Muster auf diesem Regenbogen war schlichtweg das Muster einer Brosche, die die Mutter gerne beim Ausgehen trug.
  5. Gerade Helferrollen wie hier unser brennender Mensch und der Mensch, der am Netz hängt, sind behutsam zu deuten. In einem Traum zum Beispiel träumte ein junger Mann, dass er innerlich von einem fremdartigen Wesen aufgefressen wurde. Als dieses schließlich aus seinem Bauch herausplatzte, erklang eine Stimme: "Du bist das Tor!" - Auch dies ist ein Wandlungstraum gewesen. Der junge Mann sollte seine andressierte Nettigkeit ablegen. Gleichzeitig aber symbolisierte das Monster auch die Angst, als Monster angesehen werden zu können. Und natürlich war das Monster auch ein Wunsch: unabhängig zu sein, übermächtige Kraft zu haben. - Helferrollen sind also durchaus nicht immer in angenehmen Wesen wie Engel zu suchen. Und manchmal sind sogar Engel nur Maskeraden für boshafte und zerstörerische Energien.
  6. Jeder Traum weist auf einen Lebenskontext hin. Ohne den größeren Zusammenhang kann man einen Traum nicht interpretieren. Gerade bei Werner waren viele Traumszenen durch seine Comic-Lektüre geprägt. Der Traum hätte ganz anders aussehen können und trotzdem das Gleiche aussagen können.
Ganz zum Schluss möchte ich Werner dafür danken, dass er mir erlaubt hat, hier über ihn zu schreiben.

Liebe Grüße,
Adrian

Sonntag, 11. März 2007

Mit alltäglichen Handlungen die Schlachten schlagen

Josi hat in ein, zwei Sätzen eine Erkenntnis auf den Punkt gebracht, die ich selbst nie so klar hätte formulieren können.



Josi schreibt also:

Mit Eintritt in die Probleme [einer psychischen Erkrankung - Adrian] befindet man sich im Kriegszustand, nur das die Schlachten so gut wie nie mit Waffen bei mir geschlagen wurden, sondern mit alltäglichen Handlungen. Ich hatte die Wahl zu lernen und ein Spirituelles Leben zu führen oder sehr viele Medikamente zu nehmen.



Hallo Josi!

So ein Wirrkopf, wie du behauptest, bist du garnicht - im Gegenteil: das ist ein wunderschöner (erster) Satz. Tatsächlich ist das ein Satz, der einem den Tag retten kann.



Die Wahl, die du getroffen hast, ist vielleicht die arbeitsreichere gewesen, aber sicherlich die bessere. Lieber ein verrückter Schamane als eine Medikamentenleiche. Und: ich war selber zehn Jahre in der Psychiatrie, allerdings jobmäßig, und hatte immer das Gefühl, dass einige der Menschen dort nicht an Wahnsinn, sondern an einer völlig anderen Klarsicht leiden. Vielleicht ist das bei dir tatsächlich so, dass der - von der offiziellen Medizin verpönten - spirituelle Weg dein gesunder Weg ist.



Liebe Grüße,

Adrian

Donnerstag, 8. März 2007

Kerzenmeditation

Wenn ich mich aufrege, habe ich ein gutes Mittel, um mich wieder zu beruhigen - die Kerzenmeditation.
Ich rege mich nicht oft auf. Eigentlich bin ich ein sehr ausgeglichener Mensch. Außer wenn ich darüber schreibe, wie Kinder behandelt werden. Da rege ich mich recht oft auf.

Hier also die Kerzenmeditation:
Ich setze mich in einen dunklen oder halbdunklen Raum. Vor mir steht eine brennende Kerze. Ich atme ruhig ein und aus. Ich konzentriere mich auf die Flamme. Ich sage immer wieder den Satz: "Ich bin ruhig und leer."
Das mache ich etwa fünf Minuten.

Man kann natürlich auch andere Sätze nehmen:

  • Ich folge der Stimme meines Herzens. Ich bin offen und bereit, mich tragen zu lassen. Meine Schöpfungskraft erfüllt mich. Ich bin neugierig und zufrieden. (in unruhigen Lebensphasen)
  • Ich vertraue meinen intuitiven Fähigkeiten. (wenn ich kreativ arbeiten möchte, aber eine Blockade verspüre)
  • Ich bin erfüllt von Kraft und Schönheit. (vor einem Streitgespräch)
  • Ich vertraue meiner Kraft. Ich herrsche, indem ich diene; ich diene, indem ich herrsche. (nach einem Streitgespräch)
und so weiter ...

Probiert es selbst mal aus. Eine ganz einfache Übung und wirkt fantastisch.

Euer
Adrian

Donnerstag, 1. März 2007

Eine Traumdeutung

Gestern rief Paula sehr aufgeregt bei mir an. Sie hatte in der Nacht zuvor folgenden Traum gehabt und wollte ihn von mir gedeutet haben:

Der Traum
Paula fährt mit ihrem Auto auf einer Landstraße. Sie spürt, dass ein kleines Mädchen hinten im Wagen sitzt und glaubt, dass es ihre Tochter ist. Die Landstraße mündet auf eine Autobahn, allerdings von der "verkehrten Seite", das heißt, Paula muss, um auf die Spur zum Einfädeln zu kommen, über die anderen Spuren Autobahn hinüber fahren. Allerdings ist das kein Problem, denn die Autobahn ist vollkommen leer. Nur ein einzelner Wagen kommt in großer Entfernung herangefahren. Paula fährt also los, doch in diesem Moment ist der andere Wagen heran. Darin sitzt ein Mann, der sich sehr erschrickt, die Kontrolle über sein Fahrzeug verliert und die Leitplanke durchbricht. Kaum ist das geschehen, ist die Autobahn voller Wagen, die plötzlich alle aufeinander fahren und gegeneinander stoßen. Auch von der Landstraße biegen LKW's und Busse auf die Autobahn ein und werden in den Massenunfall verwickelt. Dann schießt ein riesiger roter Truck über die Autos hinweg, und überschlägt sich mehrmals in der Luft. Paula denkt: sie muss hier unbedingt fort, sieht dann aber, dass der Truck über sie hinwegfliegen wird. Das geschieht auch. In diesem Moment wacht Paula auf.

Wahrträume
Wahrträume sind hellsichtige Träume, die die Zukunft vorhersagen. Paula rief an, weil sie Angst hatte, dass dieser Traum Wirklichkeit wird. Sie hatte vor fünfzehn das Autofahren aufgegeben, weil sie damals in einen Unfall verwickelt war. Damals hatte ihr ein Mann die Vorfahrt genommen, wodurch sie in dessen Wagen hineingefahren ist. Außerdem ist ihr ein anderer Wagen hinten drauf gefahren.
Paula hat erst vor einem Jahr sich wieder ein Auto gekauft und jetzt natürlich Angst, dass ihr wieder eine solche Situation passieren könnte.

Angstträume
Angstträume funktionieren ganz anders als Wahrträume: Angstträume verarbeiten in Bildern Ängste, über die sich der wache Mensch nicht bewusst ist.
Ich hatte bei Paula sofort die Gewissheit, dass ihr Traum kein Wahrtraum ist, sondern ein Angsttraum.

1. Teil der Traumdeutung
Ich schlug Paula zunächst vor, den Traum symbolisch zu lesen. Das Auto, so deutete ich ihr, ist nicht ein echtes Auto, sondern ihr "sozialer Körper": dieser besteht aus sozialen Regeln. Paula verursacht als mit ihren sozialen Regeln Massenkarambolagen - dies habe ich ihr jedoch erst später gesagt. Zunächst einmal entdeckte Paula, dass es in ihrem Traum nicht um Unfälle, sondern um Streit geht.
Sie fährt friedlich vor sich hin (die Landstraße), will dann etwas zusammen mit anderen Menschen machen (die Autobahn) und automatisch kommt es zum Streit (Unfälle).

Paulas Leben
Hier stutzte Paula.
Tatsächlich hatte sie sich am Abend vorher heftigst mit ihrem Bruder gestritten.
Paula hat zwei Kinder, ein Junge (8) und ein Mädchen (11). Den Vater ihrer Kinder hatte sie kurz nach der Geburt ihres Sohnes verlassen, weil er gewalttätig geworden war.
Vor einem halben Jahr ist Paula dann zu ihrem älteren Bruder gezogen, weil dieser ein Haus besitzt und sie dort billig wohnen konnte. Bis dahin hatte sich Paula mit ihrem Bruder immer hervorragend verstanden. Jetzt aber wurde der Bruder - vor allem, wenn er getrunken hatte - sehr schroff und beleidigend. Immer häufiger kam es zum Streit. Paula wollte die Konflikte mit ihrem Bruder klären, woraufhin dieser sich immer mehr zurückzog und teilweise sich wie ein Kleinkind benahm. Wenn zum Beispiel Paula sagte: "Ich möchte mit dir reden!", verfiel ihr Bruder in eine quäkende Stimme und wiederholte Paulas Satz. Auch wenn Paula nicht direkt mit ihrem Bruder sprach, wiederholte er manche von Paulas Sätzen. Da ihr Bruder sonst ein angesehener und erfolgreicher Geschäftsmann ist, wurde Paula hier zunehmend hilflos. Andererseits kümmerte sich ihr Bruder auch wieder sehr liebevoll um sie, so dass Paula nicht das Gefühl hatte, ihr Bruder sei ihr gegenüber einfach nur boshaft.

2. Teil der Traumdeutung
Paula erzählte also von ihrem Bruder und dann von ihrem Lebensgefährten: auch diese hätten sich ihr gegenüber immer unverschämt oder kalt benommen und hatten ihr vorgeworfen, den Konflikt zu provozieren. Paula war extrem verunsichert, welche Rechte sie hatte. Tatsächlich hatte sich ihr Mann - der Vater ihrer Kinder - wie ein Pascha aufgeführt und ebenso verhielt sich ihr Bruder.
Paula verstand zwar jetzt einen Teil des Traums, fragte sich aber, warum sich der Mann im Auto vor ihr so erschrecken würde. Hier fiel ihr plötzlich auf, dass sie nicht von rechts auf die Autobahn einbog, sondern von links. Die nächste Deutung kam dann von ihr selbst: dass sie von links kam, könnte etwas mit der linken, emotionalen Gehirnhälfte zu tun haben. Sie sei ja so gefühlsbetont. Hier korrigierte ich sie: sie sei nicht gefühlsbetont, sondern habe einfach einen guten Kontakt zu ihren Gefühlen. Tatsächlich fand ich Paula nicht nur sehr reich an Gefühlen: sie konnte eigentlich auch sehr gut mit ihnen umgehen. Warum also war der Mann so erschrocken?
Zuvor hatte Paula schon vermutet, dass die ganzen Busse, die von der Landstraße in den Unfall hineindrängelten, ihre eigenen aufgestauten Gefühle waren. Jetzt legte ich ihr nahe, dass sie von vorne und von hinten, direkt und indirekt von Streit bedroht wäre. Dazu erzählte Paula, dass fast alle ihre Männer sie hinter ihrem Rücken schlecht gemacht hatten, und sogar ihr Bruder würde schlecht über sie reden. Ihr Bruder zum Beispiel behauptete, Paula würde absichtlich die Wohnung verdrecken lassen; etwas, was den Bruder vorher nie gestört hatte (obwohl er eigentlich ganz sauber ist). Paula dagegen hat das Gefühl, dass sie ständig hinter ihrem Bruder herräumt: sie kümmert sich um seine Wäsche, putzt dreimal die Woche das ganze Haus, usw.
Ihr Bruder aber scheint das nicht zu sehen. Wenn er mit ihr streitet, weist er auf die Unordnung hin, wenn er liebevoll zu ihr ist, sagt er ihr, sie sei eine tolle Schwester (er lobt sie also nicht für das Saubermachen).
Paula wunderte sich, dass sie, obwohl sie nie Streit haben wollte und es ihren Männern immer Recht machen wollte, diese so oft zu bösartigen Reaktionen veranlasste. Dass sie durch ihre Duckmäuserei die gewalttätigen Männer oder die aggressionsgehemmten Männer (diese fand sie furchtbar langweilig) anzog, wie ein Licht die Motten, das wollte Paula (noch) nicht sehen.

Paula's Bruder
Ihr Bruder legte im Streit diese seltsame Marotte des Wiederholens an den Tag. Tatsächlich war ihr Bruder ein sehr genauer Mensch, der aber im Alter von 48 noch nie eine feste Freundin hatte. Gegenüber Paula äußerte er sich, dass er eine Geliebte habe. Da er aber fast andauernd arbeitete und sonst zu Hause war, glaubt Paula ihm das nicht.
Paula empfindet diese Wiederholungen ihrer eigenen Sätze als sehr verletzend. Ich deutete diese Sätze als eine Art Mantra. Ihr Bruder würde sie nicht nachäffen, sondern über ihre Sätze meditieren. Wenn ihr Bruder solche Sätze wie "Ich möchte mit dir reden!" oder "Ich fühle mich verletzt!" andauernd und zu den unmöglichsten Gelegenheiten wiederholt, dann, weil er sie "schmecken" möchte, also wissen möchte, wie diese Sätze sich anfühlen.
Paula fand im Gespräch heraus, dass ihr Bruder nur Sätze wiederholt, die etwas mit Beziehung und Partnerschaft zu tun haben.
Ihr Bruder ist einsam und erfolgreich (der einsame Wagen auf der Autobahn). Dann kommt seine Schwester in sein Leben (sie biegt "falsch" ab), er erschrickt und es kommt zu einem andauernden Streit, der die bisherige, nette Beziehung zwischen den beiden vollkommen in Frage stellt (die Massenkarambolage).

Die Kindheit
Paula und ihr Bruder sind in einem Elternhaus aufgewachsen, in dem sich die Eltern oft geprügelt haben.
Paula erzählte, dass sie ganz bewusst an sich gearbeitet hat, um nicht mehr so aggressiv zu sein. Als ich mit ihr sprach, hatte ich das Gefühl, dass sie hier eigentlich einen sehr guten Weg gegangen war. Sie war klar mit ihren Gefühlen und konnte sich sehr differenziert sehen.
Ihr Bruder hatte die Eltern strikt verleugnet. Beide waren in Heimen aufgewachsen und hatten sich erst spät kennen gelernt (Paula ist elf Jahre jünger). Während Paula ihren Gefühlen nachgegangen ist, bis sie einen guten Kontakt zu ihnen hatte, hat ihr Bruder diese Gefühle und damit auch seine Wut, sein Leid und seine Verzweiflung verdrängt. All die Gefühle, die guten, wie die schlechten, die für unsere Beziehungsfähigkeit so wichtig sind, lebte der Bruder nicht bewusst: sie sprudelten aus ihm heraus, ohne dass er richtig begriff, wie ihm geschah.

3. Teil der Traumdeutung
An dieser Stelle fiel Paula das kleine Mädchen ein, dass auf ihrer Rückbank saß, während sie - im Traum - Auto fuhr. Sie sagte, das sei ihre Tochter oder sie selbst. Sie sagte, sie müsse vorsichtig fahren, damit ihrer Tochter (ihr selbst) nichts passiere.
Ich fragte sie, ob sie denn vorsichtig fahren könne. Ja, sagte sie, sie ist immer eine gute Autofahrerin gewesen. Also müsse sie, sagte ich, nicht vorsichtig fahren, sie könne vorsichtig fahren. Was man sowieso kann, dann müsse sie sich nicht deutlich sagen.
Sie bejahte das und sagte zum ersten Mal im Gespräch, dass sie eigentlich garnicht weiß, warum sie sich selbst immer die Schuld gibt, wenn ihre Beziehungen scheitern. Und eigentlich sei sie sogar eine sehr starke Frau. Sie könne sich doch gut schützen und ihre Tochter habe damit auch keine Probleme. Nur: wer saß dann auf ihrer Rückbank?
Ich schlug vor: "Deine Mutter?"
Hier begann Paula zu weinen. Sie hatte ihre Mutter immer vor ihrem Vater schützen wollen. Aber gleichzeitig fand sie es nur gerecht, wenn ihr Vater ihre Mutter schlug, denn sie - die kleine Paula - ist selbst von ihrer Mutter sehr geschlagen worden.
Ihrer Mutter gegenüber fühlte sich Paula, auch nach dreißig Jahren, schuldig.
Du bist, sagte ich zu ihr, immer vorsichtig gefahren, um deine Mutter zu schützen und trotzdem sind deine Partnerschaften immer in Unfällen und Streit geendet.
Aber warum, fragte Paula, hat sich dieser Mann im Auto so vor mir erschrocken?
Vielleicht hat er dich zu spät erkannt, sagte ich. Hier weinte Paula noch stärker.
Und dann ist er entgleist.

Wohin jetzt?
Nachdem Paula sich beruhigt hatte, fragte ich sie, wie sie mit ihren Aggressionen gearbeitet habe. Sie war ja sehr reflektiert und eine richtige Fachfrau auf diesem Gebiet. Wie ich erwartet hatte, sagte Paula, dass sie sehr viele Bücher darüber gelesen habe.
Und was habe sie noch damit gemacht? fragte ich sie.
Wie? fragte sie zurück. Noch mehr?
Nein, sagte ich, noch etwas anderes?
Noch etwas anderes, als darüber nachzudenken?
Ja, sagte ich.
Aber, entgegnete sie, ich hätte doch gesagt, dass sie das sehr gut gemacht habe: sie hat einen guten Kontakt zu ihren Gefühlen, auch zu den negativen, und könne sich gut in andere Menschen hineindenken.
Außer in aggressive Männer, sagte ich.
Das stimmt. Und Frauen.
Hier schwiegen wir beide. Dann begann Paula wieder leise zu schniefen.
Sie habe, sagte sie, eigentlich ihr ganzes Leben versucht, ihre Eltern zu verstehen und warum sich diese ständig geprügelt haben. Doch jetzt könne sie zwar alle Menschen verstehen, aber gerade die, die sie habe verstehen wollen, die seien ihr fremd geblieben. Sie sei mit ihrer Lebensaufgabe gescheitert.
Ja, lächelte ich, aber auf eine sehr großartige Art und Weise.
An dieser Stelle spürte ich, nicht zum ersten Mal in diesem Gespräch, wie eine Welle wundervoller Energie von ihr ausging. Ja, dachte ich bei mir, diese Frau verdient eigentlich den besten aller Männer und nicht einen dieser huschigen Warmduscher oder dieser aggressiven Idioten.
Was kann ich denn jetzt tun? Werde ich noch einmal im Leben glücklich sein? fragte sie.
Ich wusste die Antwort eigentlich schon, zumindest auf die erste Frage. Paula hatte ihre Aggressionen gegen sich gewandt: ihre eigene Analyse war so etwas wie eine sehr vorsichtige Autoaggression. Sie war vorsichtig dabei und deshalb war die Autoaggression auch gut. Was ihr fehlte, zumindest teilweise fehlte, war eine gute Aggression nach außen.
Was ist eine gute Aggression nach außen? Das eine ist die Neugier und das Lernen, das andere die Kreativität.
Und genau das habe ich ihr dann auch empfohlen.

Paula wollte schon immer schreiben lernen. Das ist ja eins meiner Lieblingsthemen. Also habe ich ihr versprochen, hier ein paar Schreibtipps hineinzustellen und ihr ein Buch zu empfehlen. Schreiben ist schon sehr diszipliniert und wer sich dazu nicht bereit fühlt, sollte auf das Skizzieren oder freie Tanzen zurückgreifen.

Sonntag, 18. Februar 2007

Manipulation in der Familie

Immer wieder höre ich von Menschen, die in ihrer Familie mit Menschen zusammen leben, die extrem manipulieren. Diese Menschen tragen eine tiefe Verunsicherung in ihre Umgebung hinein und meist entstehen bei nahen Familienmitgliedern auch schwere psychische Störungen.


Wie kann man mit solchen schweren psychischen Störungen umgehen?



Ich möchte zunächst auf eine mögliche Diagnostik eingehen (I) und dann kurz auf ein Modell aus der Familientherapie eingehen (II), auf den Ausdruck "Familienterroristen" (III) und ob man Manipulationen verstehen soll (IV). Schließlich möchte ich auf die Schilderung einer problematischen Situation aus diesem Gebiet eingehen (V).



I Diagnostik nach dem ICD-10


Dissoziale Persönlichkeitsstörung

Für die dissoziale Persönlichkeitsstörung (ICD-10: F60.2) typisch sind eine niedrige Schwelle für aggressives und gewalttätiges Verhalten, sehr geringe Frustrationstoleranz, Verantwortungslosigkeit und Missachtung sozialer Normen, Regeln und Verpflichtungen, ein fehlendes Schuldbewusstsein, mangelndes Lernen aus Erfahrung oder Bestrafung, mangelndes Einfühlen in andere. Beziehungen werden eingegangen, jedoch nicht aufrechterhalten. Teilweise sind Dissoziale auch erhöht reizbar. Aus diesen Gründen neigen Patienten mit dissozialer Persönlichkeitsstörung zu Gewalttaten, Kriminalität und Drogen- bzw. Alkoholmissbrauch. Der veraltete Begriff "Psychopathie" für diese Störung wird in der aktuellen Literatur nicht mehr verwendet.


Emotional instabile Persönlichkeitsstörung

Die wesentlichen Merkmale der emotional instabilen Persönlichkeitsstörung (ICD-10: F60.3) sind impulsives Handeln ohne Rücksicht auf die Konsequenzen, ständig wechselnde Stimmungslagen, Unfähigkeit zur Vorausplanung, heftige Zornesausbrüche mit teilweise gewalttätigem Verhalten und mangelnde Impulskontrolle.


Histrionische Persönlichkeitsstörung

Kennzeichnend für die histrionische Persönlichkeitsstörung (ICD-10: F60.4) sind Übertreibung, theatralisches Verhalten, Tendenz zur Dramatisierung, Oberflächlichkeit, labile Stimmungslage, leichte Beeinflussbarkeit, dauerndes Verlangen nach Anerkennung und der Wunsch, stets im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu stehen, erhöhte Kränkbarkeit, sowie ein übermäßiges Interesse an körperlicher Attraktivität.



Das Problem bei diesen Diagnosen ist, dass sie "irgendwie" auf jeden Menschen zutreffen können. Ich möchte Sie, liebe Leser, also bitten, diese Krankheitsbilder zwar zur Kenntnis zu nehmen, sie aber nicht ständig in der Umwelt zu sehen.

Jeder verantwortungsvolle Arzt stellt differentielle Diagnosen, das heißt, er überprüft seine eigene Diagnose auf ihre Realität, indem er andere, ähnliche Krankheitsbilder hinzuzieht.


Es ist nicht unsere Aufgabe, solche Diagnosen zu stellen. Selbst manche Pychiater sind nicht in der Lage, hier angemessen zu urteilen. Warum also sollten wir dies können?


Wozu stelle ich hier also Krankheitsbilder vor, wenn ich dann ausdrücklich davor warne, sie zu diagnostizieren?

Aus einem einfachen Grund: zunächst helfen uns diese Krankheitsbilder, gegenüber unangenehmen Menschen eine Distanz zu wahren. Nicht die Richtigkeit des eigenen Urteils ist hier wichtig, sondern die Heilsamkeit der Distanz.



II Delegation


Wer sich mit verworrenen Familienbeziehungen auseinandersetzt, wird immer wieder mit einem Phänomen konfrontiert, das höchst erstaunlich ist: Bestimmte Familienmitglieder brechen aus dem Familienalltag in geradezu bestürzender Weise aus, aber niemand sieht es und wenn es gesehen wird, wird es vollkommen widersprüchlich verteidigt.



Dieses Phänomen lässt sich ganz gut mit dem Begriff der Delegation erklären.

Wie in einem Betrieb Aufgaben an Mitarbeiter delegiert werden, so werden häufig in Familien bestimmte psychische Rollen an die Mitglieder delegiert. So besitzt fast jede steinharte und zwanghafte Familie ihren Rauschsüchtigen oder Rauschgiftsüchtigen.

Warum?


Kein Zwang lässt sich ohne ein bisschen Karneval aushalten. Wie manche Zwangskranken zugleich äußerst fröhliche, satirische oder zynische Menschen sind, so können Familien, in denen Zwänge eine große Rolle spielen, die extrem rauschhaften Menschen genau dieses Entlastungsventil spielen, die zum Aushalten der Zwänge notwendig ist.

Nun will der betreffende Mensch nicht unbedingt ein so abhängiger Mensch sein. Es ist ja nicht nur gesundheitsschädigend, sondern verhindert auch jedes normale Leben, jede Möglichkeit, Verantwortung zu übernehmen.



Delegationen kommen in zahlreichen Spielarten vor.

1. So soll der Sohn die Konflikte mit der Mutter austragen, die der Vater sich nicht auszutragen traut.
2. Die Tochter soll einen solchen Mann heiraten, den die Mutter gerne geheiratet hätte.
3. Die Kinder sollen den Erfolg im Leben bringen, den die Eltern nicht haben konnten.
4. Die Kinder sollen die Fehler wieder gut machen, die die Eltern begangen haben.
5. Das Kind soll die Aggresionen oder Depressionen ausleben, die ein Elternteil sich nicht einzugestehen traut.
usw.


Alle Delegationen aber gehen mit Manipulationen einher und die sicherste Form, einen Menschen zu manipulieren, ist,

- ihm fortlaufend bestimmte Absichten zu unterstellen und
- ihn von der Umwelt und anderen sozialen Kontakten weitgehend zu isolieren.


III Familienterroristen

Neulich habe ich dann folgendes Wort gelesen: Familienterroristen. Dieses geht auf einen Artikel von Erin Pizzey zurück.


1. Es ist zwar nur ein kleines Wort, aber ...

"Zwar sind Männer nach meiner Erfahrung ebenso in der Lage, sich als Familienterroristen zu gebärden, doch neigen sie eher zu physischen Gewaltausbrüchen."

Zitat aus dem Artikel

Ok, ich habe selbst ein solches Wort: Harmonieterroristen. Das sind Menschen, die einen mit ihrer Harmonie schwere Schrecken einjagen (terror = tiefgehender Schrecken). Ich habe keine Probleme damit, dieses Verhalten Männern wie Frauen vorzuwerfen, ebenso habe ich keine Probleme damit, Frauen anderen Terror vorzuwerfen, gleich welcher Art. Man denke doch bitte nur an die Diskussion um Brigitte Mohnhaupt.

Allerdings: Familienterroristen, DOCH dann eher physische Gewalt; damit wird doch gesagt, dass Terror keine physische Gewalt beinhaltet, während physische Gewalt noch kein Terror ist!

Aus meiner täglichen Arbeit erfahre ich immer wieder, dass es vor allem die Männer sind, die sowohl psychisch als auch physisch terrorisieren. Andererseits gibt es Frauen, die extrem eifersüchtig sind, die stalken (zwanghaft einen Mann verfolgen), die eine ganze Familie in Atem halten können, sei es durch extreme Rachsucht oder erpresserische Angstattacken.


Wie gesagt, ich habe keine Probleme, Frauen Gewalttätigkeiten vorzuwerfen. Wenn ich mit einer solchen Frau arbeite, gehe ich meist auf dieses Verhalten direkt zu. Bei Männern finde ich das schwieriger. Frauen sehen eher ein, dass sie etwas falsch machen, als Männer. Manche Frauen legen zwar wutentbrannt auf, wenn ich ihnen sage, dass sie die Probleme verursachen, meist aber rufen sie wieder an. Männer sind dort wesentlich krankheitsuneinsichtiger.

Natürlich gelten diese Sätze nur statistisch, nicht aber im besonderen Fall.


Zudem lösen sich die geschlechtsspezifischen Störungen mehr und mehr auf, weil die Geschlechterrollen immer mehr aufgelöst werden, durch Homosexualität, metro sexuality (David Beckham), und so weiter. Jedenfalls gibt es mittlerweile fast so viele Männer mit Essstörungen wie Frauen mit narzisstischer Wut (Mädchen biss Mädchen ein Ohr ab - so titelte letzte Woche die Berliner Zeitung). Ich schreibe hier also gegen eine allzuleichtfertige Abgrenzung zwischen Männern und Frauen, zwischen psychischer und physischer Gewalt. Es mag ja sein, dass der eine oder andere es zu penibel findet, hier auf den kleinen Wörtern herumzuhacken, die eigentlich zwischen dem eigentlichen Inhalt stehen - wie hier dem Wörtchen "doch".

Andererseits sind es gerade diese Präpositionen (doch, weil, während, seit, ...), die unsere alltägliche Logik durchscheinen lassen.



2. Familienterrorismus

Hierzu verweise ich sehr generell auf die Erforschung systemischer Familienstrukturen von der Seite einiger Psychiater, wie z.B. Helm Stierlin ("Familie und Delegation", suhrkamp) und Fritz B. Simon ("Unterschiede, die Unterschiede machen", suhrkamp). Beide berufen sich auf den amerikanischen Anthropologen Gregory Bateson.

Aus dieser Ecke stammt der Begriff der psychischen Delegation, der mit dem des Familienterrorismus eng zusammenhängt.

In der psychischen Delegation werden Seelenanteile eines Familienmitgliedes anderen Familienmitgliedern aufgezwungen. Man kann sich das in etwa so vorstellen wie eine Familienaufstellung in umgedrehter Richtung, nicht heilend eben, sondern krankmachend.

Dass hier Frauen nicht spezifisch benannt werden als diejenigen, die ihre Familien terrorisieren, liegt in der Art der Theorie: sie interessiert sich nicht für eine Ursachenforschung, sondern für die Praxis des Krankmachens und die Praxis des Heilens, das heißt, für Prozesse der Veränderung. Es gibt keinen "weiblichen" Kern in der Krankheit.


Wer also meint, das terrorisieren bei einer Frau auszumachen, der hat noch lange nicht Unrecht. Wer aber sagt, dies sei ausschließlich ein Problem der Frauen, der hat sicher nicht Recht.



3. Spirituelle Aufgabe?

Jede Erfahrung hat natürlich ihren spirituellen Anteil. Nur: ist die Spiritualität eine Aufgabe (ich weiß, ich bin wieder zu penibel), oder ist sie nicht Bedingung unserer (Lebens-)Aufgaben? So würde ich es nämlich eher sehen.

Und ganz allgemein gehalten ist die Aufgabe hier doch: Einsicht in die menschlichen Möglichkeiten, Distanzierung von den menschlichen Möglichkeiten, die schädlich und krankmachend sind.



IV Muss man Manipulationen verstehen?

Natürlich ist jede physische Gewalt auch psychische Gewalt!

Physische Gewalt ist die Handlung, die gewalttätig ist, aber die Möglichkeit dazu muss ja in dem jeweiligen Menschen mitgegeben sein.


Wer andere Menschen misshandelt, hat fast immer (und ich kenne eigentlich keine Ausnahme) Seelenanteile, mit denen er sich selbst psychisch misshandelt. In solchen Fällen rate ich zwar immer dazu, die Hintergründe zu verstehen, sie aber nicht zu akzeptieren.


Ich rede jede Woche mit mindestens fünf Frauen, denen ich erkläre, warum ihr Mann oder ihr Freund sie schlagen oder anderweitig misshandeln. Ganz zwangsläufig folgt die Frage: "Ja, soll ich jetzt zu meinem Mann zurückkehren?"

Nein! - Ganz klar nicht! Gewalt muss zwar verstanden werden - und möglichst gründlich verstanden, aber nie! nie! nie! sollte man sie akzeptieren. Verstehen und akzeptieren sind zwei verschiedene Sachen. Verstehen bedeutet, eine spirituelle Gelassenheit zu entwickeln. Akzeptieren bedeutet, die Gefühle eines anderen in sich eindringen zu lassen. Gewalt darf nie akzeptiert werden.


Auch Manipulationen wie extreme Eifersucht und die Isolierung des Partners von seinen Freunden und seiner Familie sind eine Form von Gewalt.



Verstehen: das ja!

Akzeptieren: auf gar keinen Fall!



V Und wie damit umgehen?

Eine Frau schildert mir ihren Fall aus ihrer Familie so:

Der Täter als Opfer

"Weiterhin ist mir vollkommen bewusst, das auch die Täterin (nennen wir sie mal so) aufgrund eigener Schmerzen, Erfahrungen, Ängste, Leiden usw. handelt und eine eigene bittere Familienstruktur in sich trägt, die sie in dem Kreislauf festhängen lässt... Bis zu einen gewissen Grad habe ich dafür Verständnis, sonst würde mich gar nicht interessieren, wie die Täterin dem ganzen entkommen kann und welches die Lernaufgabe auf spiritueller Ebene für sie sein könnte."

Wobei hier deine Aufgabe und niemandes Aufgabe das Aushalten und Hinnehmen sein kann. Es ist zwar richtig, dass Täter immer auch Opfer sind (und waren). Deshalb allzuviel Verständnis für sie zu haben, halte ich aber für grundlegend falsch.



Intrigen und Rache

"Ich möchte zur Veranschaulichung ein paar kurze Beispiele anführen: Die Täterin hat nach meinem Austritt aus der Familie meiner Oma einen Herzinfarkt mit vollem Bewusstsein und mit purer Absicht beschert, sie hat mich (zeitweise) gezielt in den finanziellen Ruin getrieben, hat Rufmord betrieben, hat Intrigen gesponnen, ständige Drohungen ausgesprochen, Racheaktionen durchgeführt ohne Rücksicht auf Verluste egal für wen usw. ..."

In solchen Fällen empfehle ich hier die ausführliche Dokumentation, auch wenn es sich um einen engen Verwandten handelt und ein gerichtliches Vorgehen. Auch wenn die Täterin Opfer war, müssen bestimmte Verhaltensweisen ausgebremst werden. Unsere Gesellschaft bietet dafür die staatliche Gewalt und die sollte man sich in solchen Fällen zunutze machen.



Sensibilität für den Täter?

"Als sensibler, verständnisvoller Mensch habe ich stets im Hinterkopf gespeichert, das die Täterin ihre eigene schlimme Lebensgeschichte mit sich herumträgt und daher vielleicht einfach nicht anders handeln kann."

Man kann immer anders handeln. Man muss es nur wollen und dann - zumindest versuchsweise - in die Tat umsetzen. Wer sich hier krankmacht, wer sich in seinem Krankmachen genießt - und das scheint mir bei dieser Frau der Fall zu sein - muss eben hart in seine Schranken verwiesen werden.



Psychosoziale Erbschaften

"Doch, jetzt kommt der Knackpunkt. Ich selber habe dank dieser Täterin eine sehr "reiche" Vergangenheit und es wäre durchaus denkbar gewesen das ich ebenfalls in so einen Kreislauf rutsche und meine Vergangenheit wiederrum an anderen auslebe ..."

Hier findest du auch deine spirituelle Aufgabe: die positive Wirkung negativer Erlebnisse gelassen anzuerkennen. Die Situation hat dich sehr geprägt und trotzdem und vielleicht gerade deswegen hast du dich zu der Frau gewandelt, die du heute bist. Der Täterin musst du deshalb trotzdem nicht dankbar sein. Der umgedrehte Weg: die Rache - nun, ich denke, die Frau führt dir gut genug vor, wie unsinnig dieser Weg ist. Also: Gelassenheit heißt, hier etwas zu lassen - die Änderung durch Nicht-Änderung: nicht dich zu ändern, nicht diese Frau zu ändern, sondern mit ruhiger Hand seinen eigenen Weg zu gehen.


Verantwortung: psychosoziale Erbschaften vermeiden

"Tue ich aber nicht, nicht in der beschriebenen negativen Form. Kommt nicht jeder Erwachsene, klar denkende Mensch irgendwann an diesen Punkt, wo er sich fragen muss: will ich so sein wie ich sein will oder lasse ich es zu, dass ich ein Abklatsch meiner Vergangenheit werde und es nicht besser mache, als es mir zuteil wurde? Hat nicht jeder die freie Wahl, es anders zu machen?"

Verantwortung eben: die Verantwortung ist immer ein Bruch mit der Vergangenheit.



Die Möglichkeit hat jeder

"Ich habe es getan. Kann daher das Argument: Die Täterin war selber Opfer überhaupt gelten? Hatte sie nicht die Wahl sich ihrer Opfer Rolle und somit Täterrolle zu entledigen? Oder wurde mir nur unglaubliches Glück zuteil, oder große Stärke, das ich nun die erste in dieser Generation bin, die diesen Kreislauf durchbricht?"

Natürlich hat jeder die Möglichkeit. Nicht jeder ergreift sie. Toll, dass du es geschafft hast.

Wer sich so blind stellt, dass er nicht sieht, welches Leiden er auslöst und wie ungerecht er dabei ist, kann eigentlich nur mit sehr viel Härte zur Verantwortung gezogen werden. Von einem wachen und sensiblen Menschen erwartet man das sowieso.



Die Wiederholung der Situation

"Auf Abstand bin ich gegangen. Aber, wie den Abstand wahren, wenn wieder versucht wird der Existenz, der Gesundheit, dem Ruf und dem Seelenfrieden einiger Familienmitglieder zu schaden? Genau das geschieht nämlich gerade. Betonung liegt klar auf "Es wird VERSUCHT", denn diesmal mit genügend emotionalem Abstand und Hintergrundwissen kann ich differenzierter und sachlicher damit umgehen, Ruhe bewahren und bislang noch dafür Sorge tragen, dass es beim Versuch bleibt ..."

Wie ich oben schon gesagt habe: hier solltest du, wenn Straftatbestände wie Verleumdung, Belästigung, Sachbeschädigung und ähnliches vorliegen, ganz klar auch gerichtliche Maßnahmen ergreifen. Letzten Endes ist diese Frau krank, vielleicht sogar krank im Sinne einer massiven Persönlichkeitsstörung. Dich dagegen alleine zu schützen und hier womöglich noch andere mit zu schützen ist extrem energieraubend, da du es mit starken negativen Kräften zu tun hast. Und genau hier ist es sinnvoll, die Krise zurückzugeben und - zwar eben mit Gelassenheit, aber doch deutlich - hier zu sagen: du hast das Problem. Auch dazu sind Polizei und Gerichte da.

Gerechtigkeit üben heißt nicht, niemandem zu schaden

"Nun wäre interessant, was der psychisch sinnvollste Weg ist, die Situation zu händeln, so dass niemand schaden erleidet, weder Täter noch Opfer ..."

Wie gesagt: mein Eindruck ist hier, dass du alleine das auf Dauer nicht schaffen wirst. Jede Rücksichtnahme ist hier auch deshalb unsinnig, weil die Täterin nicht nur den Schaden schon erlitten hat, sondern ihn stets weiter tragen wird: sie kann die Möglichkeit zur Heilung nur dann bekommen, wenn sie auf diese Brüche zurückgeworfen wird und sich nicht ständig mit Racheaktionen und ähnlichem ablenkt. Dazu muss ihr aber auch deutlich gezeigt werden, dass sie das Problem ist, weil sie das Problem hat. Und - ganz hart gesagt -: manchmal muss man auch die Heilung eines Menschen aufgeben und einfach akzeptieren, dass dieser krank ist und krank bleiben wird.



"... und gibt es eine spirituelle Lernaufgabe hinter dem ganzen, ..."

siehe oben



"... irgendwas greifbares was der Täterin helfen könnte, denn das ist wohl das einzige (Hilfe für die Täterin), was am Ende der ganzen Familie aus der Patsche helfen könnte ..."

Das sehe ich nicht so.

1. Die Täterin sollte ganz deutlich auf ihre eigentlichen Probleme hingewiesen werden. Ihre eigentlichen Probleme sind nicht böse Vergangenheiten und ähnliches, sondern ihr aktuelles Verhalten. Wenn sie nicht mit diesem Verhalten brechen kann, dann muss es von außen initiiert werden.

2. So oder so wirst du die krisenhafte Entwicklung bei dieser Frau nicht abwenden können. Die Frage ist nur, wie viele Menschen sie noch mit sich zieht. Je schneller sie aber in die Krise kommt (crisis = Höhepunkt, der Moment, in dem alle Konflikte gemeinsam "auf der Bühne" stehen), umso eher wird sie sich hier wandeln können (nach der crisis kommt die katharsis: die Heilung, bzw. Reinigung, wobei dies im realen Leben nicht so gut funktioniert wie auf der Bühne). Ich würde hier also keine Kompromisse eingehen.



Ganz wichtig finde ich, dass du vor allem den Kindern hilfst, die Sache mit Humor zu tragen.


Fliegersirenen und Kinderbilder

Die Situation passt hier vielleicht nicht so ganz, aber eine Bekannte hat ihre zukünftige Schwiegerfamilie ziemlich in Aufruhr versetzt und zwar auf folgende Weise:

Sie saß mit ihrem Verlobten bei der Schwiegermutter und deren Familie am Mittagstisch (es ging um irgendeine Familienfeier). Die Schwiegeroma hatte irgendein scheußliches Fleisch gekocht und einige der Kinder mochten dieses Fleisch nicht essen (eigentlich mochte niemand dieses Fleisch essen, aber alle Erwachsenen waren gegenüber der Oma zu höflich). Jedenfalls weigerte sich eines der Kinder, worauf die Oma mit einem Pseudoheulen anfing und jammerte: Der P... hat mich nicht mehr lieb, etc.

Hier hat meine Bekannte eingegriffen. Sie fragte P..., ob es wisse, dass seine Oma im Zweiten Weltkrieg eine berühmte Fliegersirene gewesen sei. P... schüttelte den Kopf. Ja, so erzählte meine Bekannte weiter, sie habe ganze Stadtviertel vor dem Untergang bewahrt, weil sie so schön heulen konnte.

Hinterher gab es natürlich einen Riesenkrach. Einige in der Familie waren erbost von dieser Unhöflichkeit, andere waren auf ihre eingeschüchterte Art und Weise sehr beeindruckt.

P... selbst hat in mehreren Bildern diese Fantasie weiterverarbeitet. Er hat seine Oma gemalt, wie sie auf dem Dach sitzt und heult, während die Flieger ihre Bomben abschmeißen und die Menschen vor ihnen fliehen. Außerdem hat er seine Oma gemalt, wie sie im Garten auf ihrem Liegestuhl sitzt und seine Mutter dazu schreiben lassen: Liebe Oma! Du musst nicht mehr heulen. Der Krieg ist vorbei.

P... hat sich später sehr mit dem Zweiten Weltkrieg auseinandergesetzt und zwar schon in jungen Jahren (er ist jetzt, soviel ich weiß, zwölf). Zu seiner Oma hat er ein recht distanziertes Verhältnis und seine Tante liebt er heiß und innig. Mit seinem Vater, der seine Schwägerin unmöglich fand, hat er wohl häufig Krach und zu seiner Mutter, die in der Ehe ziemlich duckmäusert, ein eher kühles Verhältnis.

Ein Problem in dieser Familie ist auch immer wieder, dass zwar viele die Probleme sehen, aber jeder zu höflich ist, diese deutlich auszusprechen und damit aus ihrem statischen Dasein zu befreien. P.'s Oma ist - soweit ich das mitbekommen habe - eine sehr manipulierende Frau und P.'s Vater ein steinharter und sehr dogmatischer Mensch. P. selbst sucht sich hier vor allem Kontakte zu den Familienmitgliedern, die deutlich die Konflikte ansprechen und humorvoll sind. Er malt immer noch sehr gerne und will nicht - wie sein Vater - Ingenieur werden, sondern Künstler.


Die Moral der Geschichte ist einfach: Wer die Täter schützt - und wenn auch nur durch zu viel Verständnis -, zwingt die Mitleidenden zu einer irgendwie gearteten Teilnahme an dem kranken Spiel. Sicher war meine Bekannte mit ihrem Einsatz sehr grob: andererseits musste sie so deutlich werden, um dem Kind hier überhaupt eine Möglichkeit zu bieten, sich von diesem Terror zu distanzieren und die Situation umdeuten zu können. So unwahr diese Umdeutung war, so nützlich war sie.



Auch dir würde ich nicht empfehlen, die Täterin zu schützen. Wenn du andeutest, dass sie die ganze Familie belastet (oder: in die Patsche bringt), dann ist es höchste Zeit, hier Grenzen zu setzen.


Adrian

Donnerstag, 15. Februar 2007

Angst- und Panikattacken

Viele der Menschen, die mich zur Beratung anrufen, haben Angst- oder Panikattacken.
Ich arbeite da immer schon am Rande der Therapie, empfehle aber jedem, sich eine Therapie zu suchen. Eine Therapie kann ich nicht ersetzen.

Meine Arbeitsmethode ist, dass ich mit den Ratsuchenden "Traumreisen" ausmache, d.h. Reisen zu speziellen Orten, die auf der einen Seite mit der Angst und ihren Folgen konfrontieren, auf der anderen Seite Hilfsorte sind. Das funktioniert recht gut.

Allerdings (und noch einmal): eine Therapie kann das nicht ersetzen und wenn ein Ratsuchender bereits eine Therapie macht, verlange ich sehr ausdrücklich, dass meine Ratschläge zuerst vom Therapeuten abgesegnet werden (wobei das noch nie ein Problem war und mich zweimal sogar schon die Therapeuten angerufen haben, der eine, weil er selbst ein Problem hatte, der andere, um mir für die Arbeit mit der Betreffenden zu danken - so etwas höre ich natürlich gerne, aber nicht jedem Therapeuten wird das Recht sein und dann ist der Therapeut wichtiger als meine Ratschläge und Hilfen).

Die Traumreisen suche meist ich für den Ratsuchenden aus. Manchmal reicht hier auch nur ein Impuls, und der Ratsuchende kann sich eine solche Traumreise alleine weiter entwickeln.

Je nach Persönlichkeit des Ratsuchenden gibt es ein paar Regeln, die man beachten sollte.

  • Eine der wichtigsten Regeln ist, in der Reihenfolge eher von der Wirkung zur Ursache zu gehen als umgekehrt. Obwohl es auch hier Ausnahmen gibt.
  • Eine zweite sehr wichtige Regel ist, sehr verschiedene Hilfsorte aufzusuchen, also nicht nur emotionale Hilfsorte, sondern auch intellektuelle, körperliche und spirituelle Hilfsorte.
  • Die dritte Regel ist, klein anzufangen, sowohl von der Konfrontation mit den Ängsten her als auch von dem Umfang der Stationen, die der Ratsuchende bereist. Erweitert werden kann das immer noch.

Als Hilfsregel bitte ich meine Ratsuchenden immer, sich die Stationen der Reise ungefähr aufzumalen. Ungefähr heißt natürlich so krickelig und krakelig wie man's eben kann. Aber das Aufzeichnen unterstützt die Erinnerung, mit der man sich durch die einzelnen Stationen bewegt. Die Reise selbst ist oft sehr emotional und je klarer man den vorgeschriebenen Reiseweg geht, umso wirkungsvoller ist diese Methode. - Ein großer heilender Anteil der Reise ist nämlich schlichweg die Tatsache, dass man von dem Weg nicht abweichen darf und sich so sehr bewusst darin einübt, bestimmte Phantasien zu haben und bestimmte Phantasien nicht zu haben. - Also keine Esoterik, sondern einfache psychische Mechanismen, die hier wirken.


Liebe Grüße,
Adrian