Kartenlegen und Traumdeutung
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Dienstag, 27. März 2007

Traumdeutung: Der Turm, selbsterfüllende Prophezeiung

Der Turm im Traum
David wollte von mir ganz präzise wissen, was ein Turm im Traum bedeutet.
Leser meines Blogs wissen, dass ich solche Fragen ungerne beantworte. Der Traum in seinem Zusammenhang ist wichtig, nicht nur das einzelne Element daraus.
Der Traum
Der Turm steht sehr einsam in einem dichten Wald und David, oder sein Traum-Ich wohnt dort. In der Ferne kann man eine Stadt sehen. Diese Stadt blickt David hasserfüllt an.
Der Turm ist unterschiedlich zu bewerten. Er kann für Einsamkeit stehen, für den Wunsch nach Einsamkeit, für Überblick oder den Wunsch nach Überblick. Er kann natürlich auch für den Hass auf Einsamkeit stehen. Er könnte noch eine ganz andere Bedeutung haben. Das ist bei Träumen nicht immer einfach zu entscheiden.
Im Traumdeutungslexikon ist dazu folgender Eintrag zu finden:
"Jeder Turm stellt die Persönlichkeit und die Seele eines Menschen dar.
Da Türme offensichtlich mit dem Männlichen in Verbindung stehen, ist es naheliegend, sie als das Selbst in einem größeren Zusammenhang zu sehen.
Für die richtige Deutung ist von Interesse, wo sich beispielsweise Fenster, Türen und Treppen befinden und welche Eigenschaften sie haben."
Der dichte Wald könnte auf ein Verstecken-wollen oder Verstecken-müssen hindeuten, die Stadt auf den Ort, wo man nach den sozialen Regeln leben muss.

David's Suche
Vor mir hatte David schon mehrere Traumdeuter angerufen. Die meisten deuteten den Turm als sein vereinsamtes Selbst. Eine Traumdeuterin versprach ihm eine stabile Beziehung, die sich aber nur auf sexueller Potenz gründen würde – dazu sagte David, diese Deutung sei die Beste. Er hatte natürlich keine Freundin, fühlte sich aber sexuell sehr mächtig.
Aus meiner Deutung schloss David, dass ich Träume nur nach den üblichen Lexika ablesen würde und das könne er auch selbst.
Ich entgegnete ihm: Du kannst dich nicht anders an soziale Regeln (Stadt) anpassen, als deinen wahren Kern (Turm) gut zu verstecken (Wald). Dadurch fühlst du dich einsam (Entfernung des Turms zur Stadt) und empfindest - natürlich - Hass auf die sozialen Regeln.
Dein Traum ist mit einer Aufgabe verbunden, also ein Entwicklungstraum. Deine Aufgabe ist es, zu überprüfen, wo deine Einsamkeit sinnvoll ist und wo nicht; wo du die sozialen Regeln akzeptieren solltest, um an der sozialen Kreativität teilzuhaben, und wo du die sozialen Regeln beugst, um deine Individualität und persönliche Kreativität zu wahren.
David erwiderte, er wolle nur eine Freundin haben und die anderen Menschen könnten ihm den Buckel runterrutschen. Er bekräftigte noch mal, dass ich ein schlechter Traumdeuter sei, der keine Ahnung habe. Man wisse doch, dass Träume Wunscherfüllungen seien.

Wunscherfüllungen
Mit der letzten Aussage hat David natürlich Recht. Aber Wünsche entstehen auf viele Arten und Weisen und am seltensten sind Traumwünsche bewusste Wünsche. Die andere Traumdeuterin hat in ihrer Deutung natürlich Davids bewussten Wünschen entsprochen, aber nicht den Traum gedeutet. Zwar ist der Turm manchmal auch ein Penis-Symbol, aber ihn mit sexueller Potenz gleichzusetzen, hieße Freud falsch zu verstehen. Außerdem tauchen die Frau und die Beziehung in Davids Traum überhaupt nicht auf, und hier hat wohl die Traumdeuterin einfach etwas hervorgekramt, was viele Männer für wünschenswert halten. Ehrlich und gut ist das nicht.
Meiner Ansicht nach ist Davids Wunsch in diesem Traum ein Wunsch nach Zugehörigkeit, nach Entwicklung, auch nach dem Ausbrechen aus dem einsamen Gefängnis. Das einsame Gefängnis besteht nicht zuletzt aus den Größenphantasien, die David hat. Nährt man diese, sperrt man David noch mehr in seine Einsamkeit ein. Er ist nun mal nicht so groß, wie er sich selbst das – halb bewusst - wünscht.
David wird also weitersuchen müssen. Solange er mit unangenehmen Deutungen nicht umgehen kann, wird er aber zu keiner Klärung kommen. Das Tragische daran ist, dass David deutlich gezeigt hat, dass meine Deutung in die richtige Richtung geht: indem er meine Deutung als primitiv und unwissenschaftlich bewertet hat (was er nicht beurteilen konnte), hat er meine Deutung bestätigt.

Adrian

Dienstag, 13. März 2007

Kartenlegen / Traumdeutung: Dünne Böden und feurige Seelen

Wie schwierig manche Traumsymbole zu fassen sind, möchte ich hier am Beispiel von Werner erzählen.
Ein wesentliches Element in einem der Träume von Werner war das Feuer.
Dazu findet man (als Beispiel) folgende Deutungsmöglichkeiten im Online-Lexikon für Traumdeutung:

Feuer ist in Männerträumen ein stark erotisches Symbol, das Feuer der Leidenschaft.
Freude beim Anblick des Feuers ist ein Zeichen der absoluten Hingabe.
Steht die Hitze des Feuers mehr im Vordergrund, so nehmen Sie starke Gefühle eines Menschen wahr.
Zünden Sie ein Feuer an, gehen Sie eine neue, erotische Beziehung ein.
Vorsicht, wenn ein Haus brennt oder wenn Sie ein Feuer im Ofen löschen, es zeigt eine beginnende Krankheit an, denn das Haus ist immer mit dem Träumer gleichzusetzen.
Feuer und Wasser symbolisieren stets seelische Energie: Feuer reinigt.
Helle Flammen kündigen eine neue Idee an.

Wir werden gleich sehen, dass zumindest einige dieser Deutungen nicht falsch sind, aber ungenau. Wie immer muss man den Traum gut im Leben des Träumers verankern. Allzuoft leistet sich eine Traumdeutung hier nur das Übersetzen der Symbole in ihren lexikalischen Gehalt. Subjektive Bedeutungen lässt die Traumdeutung dabei außer Acht.

Kartenlegen: Das keltische Kreuz
Zunächst aber wollte Werner, als wir das erste Mal miteinander sprachen, die Tarot-Karten gelegt haben. Werner war in zweifacher Weise misstrauisch.
Zum einen glaubte er an den ganzen Kartenzauber nicht. Alles Unfug, sagte er gleich zweimal zu Beginn des Gesprächs. Kartenlegen lasse er sich nur aus Neugierde.
Zum anderen behauptete Werner, ich könne ihm sowieso nicht helfen, und überhaupt könne das niemand, dazu müsse man diesen ganzen Feminismus abschaffen. Seitdem würden die Frauen doch nur noch herumlaufen wie kopflose Hühner.

Ich legte für Werner das keltische Kreuz. (Beim Kartenlegen benutze ich seit zwanzig Jahren das Crowley-Tarot.)
Die ersten vier Karten zeigten Folgendes:
  1. Acht Schwerter (Einmischung) - (darum geht es)
  2. Prinzessin der Scheiben - (das kommt hinzu)
  3. Die Lust - (das wird erkannt)
  4. Königin der Schwerter - (das wird gespürt)
Die Grundsituation
Im Gespräch präsentierte sich Werner als sehr stur. Er ließ nichts an sich heran und zweifelte an allem. Sein Weltbild erschien ihm sehr klar aufgeteilt in Freunde (hatte er keine) und Feinde (alle anderen, vor allem aber Frauen, darunter besonders die Feministinnen und von diesen vor allem seine Ex-Freundinnen).
Werner hatte mich, bevor ich einen Satz sagen konnte, massiv hinterfragt. Zudem war sein Weltbild sowieso durch harte Frontlinien und Grabenkämpfe eingeteilt. Deshalb beschloss ich, ihn frontal mit der Deutung zu konfrontieren.
Dein Weltbild ist verworren, sagte ich ihm, du blockierst dich selbst und bist zu bequem, daran zu arbeiten.
Daran seien nur die Frauen Schuld, sagte Werner. Und höhnte weiter: wenn das nicht in deinen Karten drin steht, dann kannst du den Rest auch nicht sehen.
Darauf hin patzte ich zurück: Wenn er Gesäusel haben wolle, solle er doch bitte nicht bei einem Kartenleger und Wahrsager anrufen. "Ich lege dir die Karten, aber ich werde dir nicht in den Arsch kriechen."
Obwohl ich Werner deutlich angegriffen hatte, legte er nicht auf.

Die dritte Karte, die Lust, lag verkehrt herum: Werners Leben war - wen wundert es? - von depressiven Phasen durchzogen. Er verdiente gut, fühlte sich aber innerlich leer. Sein Leben kam ihm wie eine Wüste vor.
Die Königin der Schwerter zeigte auf den Freiheitsdrang hin, den er innerlich verspürte.
Zur dritten Karte bemerkte Werner: Das hätte ich mir auch selbst sagen können.
Und bei der vierten Karte wurde er wütend: Wissen Sie überhaupt, in was für einer Gesellschaft wir leben? Da kann man nicht einfach frei sein. - Außer diese Frauen natürlich, die haben sich immer alles erlaubt.

Und, krieg ich jetzt eine Frau, oder was? fragte er.
Da ich sowohl in der Einflusskarte (Position 2 - die Prinzessin der Scheiben) als auch in anderen Karten eine ganz gegenteilige Tendenz unter dem harten, abweisenden Werner sah: nämlich den sinnlichen Werner, der in der Lage war, warmherzig und seelenvoll zu sein, und da tatsächlich auch eine Frau in seiner Zukunft lag - wenn auch eine freiheitsliebende -, sagte ich ihm, dass er wieder eine Frau kennen lernen werde. Mit dieser könne er aber nur eine Beziehung führen, wenn er von seinem Kriegszustand ablasse und sich mit seiner Umwelt liebevoller und kreativer auseinandersetze.
Ach, muss ich schon wieder was für die Frau tun? schrie Werner ins Telefon und diesmal legte er wirklich auf.
Angegriffen zu werden schien Werner nichts auszumachen, aber sich für jemanden zu verändern schon.

Träume von dünnen Böden und feurigen Seelen
Ich dachte schon, Werner riefe nie wieder an.
Doch schon am nächsten Tag führte ich ein zweites Gespräch mit ihm und diesmal klang er ganz anders. Diesmal ging es auch nicht um Kartenlegen und seine Zukunft, sondern er wollte einen Traum gedeutet haben. Diesen hatte er in der Nacht zuvor dreimal geträumt, zweimal mit genau demselben Trauminhalt, beim dritten Mal mit einem etwas anderen Ende. Dreimal war er jedoch mit panischer Angst aufgewacht (das erzählte er mir allerdings erst später).

Traum 1 und 2
Werner steigt eine Treppe hoch und steht plötzlich mitten in einem idyllischen Obstgarten. Irgendwo in der Ferne rauscht ein riesiger Wasserfall. Werner denkt "eisig" - er meint damit den Wasserfall -, und wundert sich, dass der Regenbogen darüber wie ein farbloses Broschenmuster aussieht.
Werner geht weiter. Er empfindet das Gehen als seltsam. Er hat unheimliche Angst, weiß aber nicht, wieso. Die Bäume hängen voller Früchte, ganz wild durcheinander. Er sieht Bananen, Äpfel und Melonen dicht nebeneinander hängen. Dann spürt Werner plötzlich einen Hilferuf. Werner sagte tatsächlich "spürt" - ich habe hier nachgefragt -, und nicht "hört". Er geht diesem nach und kommt an ein Loch im Boden. Dort sieht er einen Mann an den Fäden eines ausgefransten Netzes hängen. Der Boden, auf dem die Obstplantage steht, ist nämlich sehr dünn, und ruht auf einem dichtmaschigen Netz. Darunter geht es meilenweit in die Tiefe. Das einzige, was Werner noch erkennen kann, ist, dass dieses Netz wohl zwischen zwei Wolkenkratzern hängen muss.
Jetzt versteht Werner auch, warum das Gehen sich so komisch angefühlt hatte: er stand die ganze Zeit auf schwankendem Boden.
Der Mann bittet Werner noch einmal um Hilfe. Werner versucht den Arm des Mannes zu packen. Dabei rutscht er ab und fällt selbst durch das Loch. Er fällt und fällt. Plötzlich sieht Werner einen flammenden Menschen auf sich zurasen. (Wer hier an die ganzen Verfilmungen von Marvel-Comics denkt, hat natürlich recht - damals lief gerade der erste Teil von Spider-Man in den Kinos und Werner hatte seine ganzen alten Comicheftchen wieder ausgepackt und seine Sammlung um neuere Comics ergänzt.)
Der Fackelmensch packt Werner am Arm. Er stoppt zwar den tödlichen Fall von Werner, dafür aber verbrennt Werner jetzt und rieselt als Asche zu Boden.

Mit diesem eher "idyllischen" Bild endete der Traum: Werner wachte hier auf und verspürte übermächtige Angst.

Traumdeutung Teil 1: Schwankende Böden
Zunächst ist deutlich, dass der Traum eine Mischung aus idyllischen Elementen und Schreckensvisionen ist, wobei die Schreckensvisionen deutlich keine Monster zeigen. Außer dem namenlosen Mann und dem Fackelmenschen tauchen keine anderen belebten Wesen auf. Zu dem Fackelmenschen komme ich später.

Hier ist mir erstmal wichtig, dass der Traum sehr deutlich die seelische Verfassung von Werner anzeigt: unter einer dünnen, blühenden und Früchte tragenden Schicht befindet sich eine bodenlose Leere und eine seelenlose (und vielleicht auch unbelebte) Stadt.
Einige der Traumelemente sind Kulturgut: so ist die Treppe, die in den Garten führt, ein Aufstieg in eine wahrhaftigere Situation - der Traum spricht, im Gegensatz zu Werners eigener, bewusster Beurteilung, die Wahrheit aus.

Zwischenbemerkung zu Traumhelfern
Die seelische Verfassung wird durch zwei Traumhelfer markiert - in der Psychoanalyse spricht man gerne auch von Hilfs-Ichs.
Traumhelfer werden oft mit liebevollen Wesen gleichgesetzt, Engeln, freundlichen Reittieren, Menschen, die dem Traum-Ich heilende Nahrung geben, und so weiter.

Ganz so einfach ist das allerdings nicht.
Traumhelfer sind nicht - wie das häufig behauptet wird - dem Angenehmen verpflichtet. Traumhelfer stehen zwar im Dienste eines gelassenen und weisen Lebens, aber auf dem Weg dorthin können sie teilweise sehr boshafte, aggressive oder befremdliche Züge annehmen.
Wenn der Weg unserer Erkenntnis ein schmerzhafter Weg ist, dann kann der Traumhelfer durchaus jemand sein, der uns auf diesen Weg treibt, oder sogar jemand, der uns Schmerzen zufügt. - Der Fackelmensch - das werden wir gleich sehen - ist ein solcher zwiespältiger Traumhelfer, und das Böse wird uns unter einer recht harmlosen Maske begegnen.

Traumdeutung - Fortsetzung
Der erste Traumhelfer ist der namen- und gesichtslose Mann. Er zeigt die Angst, die Werner sich verbietet, und indem der Mann diese Angst zeigt, muss Werner sie nicht selbst verspüren. Im Gegenteil: an dieser Stelle wird Werner - zumindest sein Traum-Ich - selbst zum Helfer: er beugt sich herab und versucht den Arm des Mannes zu ergreifen.
Dieser Traumhelfer hat also eine dreifache Funktion: er entlastet Werner von seinen verdrängten Gefühlen; zugleich aber erlaubt er sich offen diese Gefühle und deutet damit auf die Wahrheit hin; zum Dritten aber ermöglicht gerade die Hilflosigkeit des Traumhelfers, dass Werner sich - im Traum - in einer Rolle erlebt, die er von sich eigentlich nicht mehr kennt: Werner hilft (und zugleich sagt der Traum natürlich: Hilf dir selbst!).

Dass Werner bei seiner Hilfsaktion abstürzt, wird von Werner zunächst negativ gesehen.
Das kommt davon, so sagt er, wenn man anderen hilft. (An dieser Stelle sieht er noch nicht, dass der andere Mann eigentlich er selbst ist.)

Der Absturz hat hier allerdings auch noch eine andere Bedeutung: er ist eine Reise in das Innere, in den Gefühlshaushalt der Seele. Dieser Gefühlshaushalt ist bei Werner nicht nur bildlich zubetoniert (die Großstadt).

An dieser Stelle merkt Werner auch, dass er zerschellen würde, wenn er eine echte Reise in seine Seele machen würde. Stattdessen "zerschellen" immer seine Beziehungen.
Werner nahm diese Deutung übrigens sehr positiv auf. Oder - was heißt hier positiv? - mit spürbarer Verunsicherung, aber auch Erleichterung. (Was in seinem Fall schon positiv zu werten war.)
Meinst du?, fragte er mich.
Später erzählte er, dass ihm das sehr viel Unbehagen bereitet hat, dieses leere und verwüstete Ich zu sehen. Auf der anderen Seite hatte Werner aber auch genauso viel Angst davor, dass der Traum etwas anderes bedeuten könnte. Er wusste hier nie genau, was er noch bedeuten könnte, aber irgendwie spürte er, dass es etwas viel schlimmeres sein könnte, als eine leere Seele zu haben: um die konnte man sich kümmern.

Aber all dies geschah erst im Laufe unseres Gesprächs.
Zunächst kam hier noch der dritte Traum dazwischen, dessen Ausgang Werner sehr rätselhaft, ja grauenvoll erschien.

Traum 3
Wie gesagt war Werner schon zweimal mit panischer Angst aus demselben Traum aufgewacht. Als er das dritte Mal diesen Traum träumte, erwies sich Werner auf eine seltsame Art und Weise als witzig.
Bis zu dem Punkt, an dem Werner von dem Fackelmenschen erfasst wurde, glich der dritte Traum den beiden anderen Träumen.
Jetzt aber holte Werner eine Plastikflasche hervor, von der Art dieser Plastikflaschen, die man Blumenzerstäuber nennt und mit denen man die Pflanzen einsprüht. Irgendwie wusste er auch, dass das Wasser im Blumenzerstäuber von dem Wasserfall kam. Damit besprühte Werner die Fackel. Das Feuer erlosch, der brennende Mensch zerpuffte zu Asche und - Werner fiel weiter, mit der sicheren Gewissheit, dass er auf dem Boden zerschellen würde.
So schlau also Werner seinen Einfall zusammengeträumt hatte, er nütze ihm garnichts.
Wieder erwachte er, mit rasendem Herzen und schweißgebadet.

Traumdeutung Teil 2: Brennende Seelen
Bei der brennenden Fackel war Werner verwirrt. Mit und ohne ihr ging sein Traum schlecht aus.
Ich sagte Werner, dass der Fackelmensch ein Symbol für den Wandel sei, dass dieser Wandel schmerzhaft, aber notwendig sei. Die Asche wäre seine Angst davor, dass von ihm nichts mehr übrig bliebe, außer eben Asche. Tatsächlich könne er noch nicht sehen, wohin es mit ihm gehe. Die Zukunft sei eben offen.
Werner war nicht überzeugt.
Dann fiel mit ein Gedicht von Friedrich Nietzsche ein:
Ja, ich weiß woher ich stamme,
Ungesättigt gleich der Flamme
glühe und verzehr ich mich.
Licht wird alles, was ich fasse,
Asche alles, was ich lasse,
Flamme bin ich sicherlich.
Darüber musste Werner erstmal nachdenken. Wir beschlossen, an einem anderen Tag weiter zu sprechen.

Die Flamme symbolisierte hier die Fähigkeit, sich zu verändern, also Werners kreative Energie. Werner hatte diese blockiert und deshalb erschien sie ihm als schmerzhaft, wenn er sie berührte.
Die kreative Energie hilft uns auch, andere Menschen zu verstehen und unseren eigenen Weg zu gehen. Werners Unverständnis für andere und die Blockierung seines eigenen Weges zeigten deutlich, dass er seine kreative Energie verloren hatte. Sein privates Leben war ihm zu einem Stellungskrieg mit dem anderen Geschlecht geworden. Werner selbst musste hier notwendig depressive Phasen durchlaufen. Er hatte nicht den inneren Reichtum, um die Schwermut abzuwehren.
Drei Tage später meldete sich Werner bei mir.
Er habe, so sagte er, meine Deutung akzeptiert.
Seine Stimme klang dabei so tonlos, dass mir dieses Zugeständnis wie eine Abbitte vorkam: ich sollte ihm brav den Kopf tätscheln, ihn als "geheilt" entlassen und er könne dann so weitermachen wie bisher.

Ich ging darauf nicht ein.
Etwas an dem Traum haben wir, sagte ich zu ihm, noch nicht gelöst: das Rätsel des Wassers.
Ich lenkte Werners Aufmerksamkeit noch einmal auf den Anfang des Traumes. Er denkt, als er den Wasserfall sieht, das Wort "eisig".
Alles, was Werner dazu einfällt, sind seine Ex-Freundinnen.

Er, Werner, hat ihnen Gefühlskälte vorgeworfen, während sie ihm umgekehrt dasselbe an den Kopf geschmissen haben.
Also, sagte ich - etwas übereilt, wie ich zugeben muss -, symbolisiert der Wasserfall eine Frau. Welche Frau ist es denn auf keinen Fall?
Meine Mutter, sagte Werner wie aus der Pistole geschossen.

Werner hatte das Gespräch mit einem leicht trotzigen Tonfall begonnen. An dieser Stelle überhastete er sich.
Meine Frage nach der Frau ist übrigens ein "Trick" gewesen. Wie Sigmund Freud in seinem Aufsatz "Die Verneinung" ausführt, kennt unser Unbewusstes kein Nein. Indem ich Werner eine Frage mit Verneinung gestellt habe, hat sein Unbewusstes ein "Ja" daraus machen können, ohne dass ihm das bewusst war.

Werners Eltern
Werners Eltern waren beide schon tot. Er hatte noch eine ältere Schwester, zu der er keinen Kontakt hatte.
Die Mutter beschrieb Werner als streng und gerecht, aber auch als liebevoll. Der Vater sei nie dagewesen.
Die Schwester sei, so erzählte Werner, nach einem furchtbaren Streit mit der Mutter ausgezogen und habe einige Jahre mit einem Taugenichts die Welt bereist. Allerdings kannte Werner diesen Mann nicht. Da die Schwester mittlerweile verheiratet war und zwei halberwachsene Kinder hatte, sagte ich, seine Schwester habe es ja irgendwie geschafft.
Ja, aber das wär nichts, warf Werner hier ein. Seine Schwester sei ja eigentlich eine Schlampe, völlig gefühlskalt, die sei nicht mal zur Beerdigung der Eltern gekommen, und die hielte sich ja für sowas von emanzipiert und wahrscheinlich würde sie ihren Mann unterdrücken, ... und so ging es in einem fort.
Werner wurde richtig böse. Für mich war sehr klar: er gönnte seiner Schwester nicht, dass sie sich von den Eltern gelöst hatte.

Hier drehte sich nun unser Gespräch zunächst darum, wie er Frauen bewertet. Für mich ging es hier vor allem darum, welche Beziehung hier Werner immer wieder mit seinen Freundinnen inszenierte.
Ganz grob gesagt passierte folgendes: er verliebte sich in eine "Ersatz-Schwester", behandelte aber die Frau dann so, als ob sie wie seine Mutter werden könnten. Denn tatsächlich ist die Mutter ziemlich bösartig gewesen. Das hatte Werner später, nachdem er längere Zeit Therapie gemacht hat, herausgefunden. Er hatte es bis dahin schlichtweg "vergessen".

In unserem Gespräch wies ich Werner lediglich darauf hin, dass mir das sehr nach Neid klinge, was er über seine Schwester sagte.
Seine Schwester hatte sich von der Mutter gelöst. Er dagegen hatte sich an sie gefesselt, und sich ihr immer brav und folgsam gezeigt.
Später - und auch im Rahmen der Therapie - entdeckte Werner außerdem, dass er auf seinen Vater einen entsetzlichen Hass empfand. Der Vater hatte neben seiner Ehe zahlreiche Affairen gehabt. Um seinen Sohn hatte er sich nicht gekümmert. Der Vater hatte sich auf seine Weise "befreit" - später starb er, nachdem er Jahre mit depressiver Verstimmung im Bett verbracht hatte.

Wir schlossen an diesem Tag unser Gespräch damit, dass das Wasser im Traum etwas sehr zweideutiges war. Es löschte die verwandelnden Flammen, aber rettete nicht.
Ich empfahl Werner - zunächst sehr zu seinem Entsetzen -, den Traum noch mehrmals ganz bewusst zu träumen. Dazu sollte er ein Traumtagebuch führen.

Der neue Traum
Fast zwei Wochen später erzählte mir Werner bei unserer nächsten Begegnung folgendes:
Zunächst habe er den Traum, wie er ihn zuerst geträumt hatte, noch mehrmals geträumt, allerdings ohne diese Angst. Ich habe, so sagte er, meiner Fackel einfach Asbesthandschuhe verpasst. (Hier mussten wir beide lachen.)
Dann aber dachte er sich, dass diese Asbesthandschuhe der menschlichen Fackel ihren Sinn nehmen würden. Also träumte er den nächsten Traum wieder wie zuerst.
Diesmal aber verbrannte ihn die Fackel nicht, sondern er verschmolz mit ihr.
Danach wachte er mehrmals frierend (!) auf.

Werner erlebte sehr unruhige Tage. Er war unkonzentriert und fing schließlich eine Therapie an.

Zu Beginn der Therapie wollte er täglich die Karten gelegt haben, manchmal sogar zweimal. Er arbeitete stark an sich selbst, und wollte "endlich Erfolge sehen". Statt auf sich selbst zu horchen, sollte ich ihm dafür herhalten. Ich verweigerte ihm das.
Zunächst hörte er noch auf meine Mahnung, das Kartenlegen nicht überzustrapazieren. Auch nickte er erstmal ab, als ich ihm sagte, er nehme die Karten zu wichtig.
Trotzdem rief er weiter hartnäckig an und fragte nach seiner Zukunft. Und ich blockte das ebenso hartnäckig ab. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass viele Menschen aufhören, an sich selbst zu arbeiten, wenn man ihnen Erfolge voraussagt. Dass Erfolge von den Karten oft an Bedingungen geknüpft werden, wollen sie nicht mehr hören. - Bei Werner hatte ich nicht nur das Gefühl, dass eine erste Verbesserung ihn hätte alles hinschmeißen lassen; bei ihm wusste ich das. Also verweigerte ich jede Auskunft. - Zwar rief er dann auch bei anderen Kartenlegern an, verstrickte diese aber in skeptische und fruchtlose Gespräche. Ich sei, schmeichelte er mir, der Einzige, der ihm wirklich die Karten legen könne.

Schließlich riss Werner auch bei mir der Geduldsfaden. Er brüllte mich an: Du brennst mich garnicht. - Er wollte wohl Du kennst mich garnicht! sagen.
Der Versprecher zeigte hier, dass ich in die Rolle eines Hilfstherapeuten gekommen war: als ich bei diesem Spiel nicht mitspielte, wies er mir eine ebenso zwiespältige Rolle wie der menschlichen Fackel zu: "Mörder" und Retter in einem. Und dann "löschte" er mich zunächst.

Erst fast ein Jahr später meldete sich Werner erneut.
Es ging ihm wesentlich besser. Er hatte nach einiger Zeit seine Therapie durch "freies Figurenmalen" ergänzt - einer kreativen Technik, die ich ihm damals empfohlen hatte.

Diesmal wollte er wissen, ob er bei einer Frau Chancen hatte. Er hatte sich nämlich Hals über Kopf verliebt. Das Kartenlegen zeigte, dass er sie erobern könne und das tat er dann auch. Sehr viel offener und freundlicher übrigens als früher.

Abschluss
Die meisten Träume sind nicht so dramatisch ins Leben eingebaut wie der von Werner.
Werner stand an einem Scheideweg zwischen Weitermachen und Sich-ändern.

Ich war ziemlich froh, dass er sich in dieser Situation einen Therapeuten gesucht hatte. Jeder Leser, der sich ein wenig mit Psychologie und Psychoanalyse auskennt, weiß, wie grenzwertig hier unsere Arbeit war.

Ich hoffe aber, dass ich hier Folgendes deutlich machen konnte:
  1. Das Traumdeutungslexikon hat hier zwar Feuer als seelische Energie gedeutet, aber ebenso sollte das Wasser hier seelische Energie bedeuten. An dieser Stelle hat das Lexikon nicht mit der Gewitztheit von Werner gerechnet. Wasser war hier vollkommen negativ besetzt als eine Maske der bösartigen Mutter.
  2. Das Feuer dagegen war hier nicht nur reinigende Energie, sondern - genauer - kreative Energie.
  3. Im Traumdeutungslexikon steht auch zum Beispiel, dass ein brennendes Haus eine Krankheit ankündigt. Es ist zwar richtig, dass Häuser für den Träumer stehen können - das Haus ist hier also eine Verkleidung für das Traum-Ich - aber nicht immer stimmt diese Deutung und nicht immer muss ein brennendes Haus auf eine Krankheit hindeuten. Ehrlich gesagt: meist ist diese Deutung sogar gefährlicher Unsinn. - In unserem Fall nämlich weist das Verbrennen auf eine Wandlung hin - einen Phönix aus der Asche. Und oft ist das brennende Haus Symbol für eine Transformation und keineswegs für eine Krankheit.
  4. Träume sind große Meister darin, ihre eigentliche Aussage zu maskieren. Ich habe selten Träume erlebt, die wirklich einem Traumdeutungslexikon gehorchen. Selbst die Traumdeutung von Werner und mir hat nur bestimmte Teile des Traumes angeschnitten, und vieles, was wir besprochen hatten, habe ich hier auch weggelassen. So war der seltsame Regenbogen ein Zeichen für die kalte Eleganz der Mutter. Das Muster auf diesem Regenbogen war schlichtweg das Muster einer Brosche, die die Mutter gerne beim Ausgehen trug.
  5. Gerade Helferrollen wie hier unser brennender Mensch und der Mensch, der am Netz hängt, sind behutsam zu deuten. In einem Traum zum Beispiel träumte ein junger Mann, dass er innerlich von einem fremdartigen Wesen aufgefressen wurde. Als dieses schließlich aus seinem Bauch herausplatzte, erklang eine Stimme: "Du bist das Tor!" - Auch dies ist ein Wandlungstraum gewesen. Der junge Mann sollte seine andressierte Nettigkeit ablegen. Gleichzeitig aber symbolisierte das Monster auch die Angst, als Monster angesehen werden zu können. Und natürlich war das Monster auch ein Wunsch: unabhängig zu sein, übermächtige Kraft zu haben. - Helferrollen sind also durchaus nicht immer in angenehmen Wesen wie Engel zu suchen. Und manchmal sind sogar Engel nur Maskeraden für boshafte und zerstörerische Energien.
  6. Jeder Traum weist auf einen Lebenskontext hin. Ohne den größeren Zusammenhang kann man einen Traum nicht interpretieren. Gerade bei Werner waren viele Traumszenen durch seine Comic-Lektüre geprägt. Der Traum hätte ganz anders aussehen können und trotzdem das Gleiche aussagen können.
Ganz zum Schluss möchte ich Werner dafür danken, dass er mir erlaubt hat, hier über ihn zu schreiben.

Liebe Grüße,
Adrian

Donnerstag, 8. März 2007

Traumdeutung und Deutungsbücher

Ich möchte hier mal eine kleine Warnung ins Netz stellen.
Heute erzählte mir eine Frau einen Traum, in dem ein Adler vorkam. Sie schaute also in eines der online-Traumsymbolbücher und fand dort - zum Traumsymbol Adler - folgenden Text:

Weittragende Gedanken, ein Symbol der eigenen Bewusstheit.

Einen Adler zu sehen weist auf eine Krankheit, die aber glücklich verläuft.

Guter Geschäftsgang, Aufschwung ist zu erwarten, wenn Sie einen Adler aufsteigen sehen.

Sehen Sie einen fliegen, sollten Sie sich vor plötzlichem Unglück hüten, sowie über Pläne und Hoffnungen nicht das Nächstliegende zu versäumen.

Stürzt sich ein Adler auf Beute, werden Sie Feinde empfindlich treffen.

Bringt ein Adler reiche Beute, steht unerwarteter Vermögenszuwachs oder eine reiche Heirat bevor.

Ein weißer Adler bedeutet eine große Erbschaft.

Es tut mir Leid, aber als ich das gelesen habe, musste ich erstmal herzhaft lachen. So ein Unsinn!

Träume kann man nicht nach festen Symbolen deuten. Wirklich nicht.
Deutungsbücher geben zwar Hinweise, mehr aber auch nicht.

Woran liegt das?
Zum einen liegt das an den Symbolen. Symbole sind - so wie sie im Traum vorkommen - Bedeutungsknäuel. In ihnen sind viele Bedeutungen verflochten, weshalb Freud auch von Verdichtung spricht.
Die Traumdeutung entwirrt diese Knäuel. Zumindest entwirrt sie die Knäuel teilweise. Freud hat mal geschrieben, dass man nie alles an einem Traum deuten kann. Es gebe - so Freud - immer einen undeutbaren Rest.

Zum anderen aber ordnen Träume auch unser Denken. Zwar sind es nicht nur Träume, die unser Denken ordnen. Aber ohne Träume würde in unserem Kopf eine hübsche Verwirrung herrschen. (Natürlich ist das Ordnen unseres Denkens nicht die einzige Aufgabe unserer Träume.)
Ordnen? Was ist damit gemeint? Hier soll es einfach bedeuten, dass vorher Unordnung herrscht, hinterher (mehr) Ordnung.
Es gibt verschiedene Ordnungen. Welche wollen die Träume? Genau das "wissen" Träume nicht. Salopp gesagt: sie probieren einfach ihr Glück und ordnen wild drauf los. Träume stellen irgendwelche Ordnungen her. Das heißt aber auch, dass Träume "offen" sind. Sie sind kreativ. Wenn aber Träume kreativ sind, dann sind auch Traumsymbole kreativ. Egal also, was ein Traum besagt: nie darf man vergessen, damit kreativ zu arbeiten.

Sind Träume subjektiv?
Oft hört und liest man, Träume seien subjektiv.
Andererseits: viele Deutungsbücher deuten an, dass Traumsymbole objektiv seien. Man denke nur an "weißer Adler = Erbschaft". Das ist ja keine Deutung, sondern eine mathematische Formel.

Die Wahrheit liegt - wie so oft - dazwischen. Traumsymbole sind subjektiv und objektiv zugleich. Das liegt daran, dass Bedeutungen subjektiv und objektiv zugleich sind.

Jede Bedeutung entsteht durch ein Muster und eine Kraft.
Muster sind häufig gewöhnliche Wahrnehmungen: Hunde, Autos, oder eben Adler. Jeder kann sie sehen. Jeder kann sie in seinem Traum träumen.
Kraft dagegen ist das, was dieses Muster auswählt und in den Traum hineinsetzt. Die Kraft sagt sich: Hier passt der Adler ganz gut in den Traum! - und schon träumen wir von einem Adler.
Weil also Bedeutungen zwei Seiten haben, weil sie immer gleichzeitig Muster und Kraft sind, ist ein Traumsymbol sowohl subjektiv als auch objektiv. Und da ein Traumsymbol meist aus mehreren Bedeutungen besteht, hat man auch an jedem Traumsymbol viel zu deuten.

Das klingt kompliziert? - Das ist es auch. Dafür braucht man eben gute Traumdeuter.

Ein guter Traumdeuter arbeitet deshalb nicht nur kreativ, sondern auch wissenschaftlich. Eine gute Traumdeutung ist immer gleichzeitig eine ernste und fröhliche Sache.

Euer
Adrian

Donnerstag, 1. März 2007

Eine Traumdeutung

Gestern rief Paula sehr aufgeregt bei mir an. Sie hatte in der Nacht zuvor folgenden Traum gehabt und wollte ihn von mir gedeutet haben:

Der Traum
Paula fährt mit ihrem Auto auf einer Landstraße. Sie spürt, dass ein kleines Mädchen hinten im Wagen sitzt und glaubt, dass es ihre Tochter ist. Die Landstraße mündet auf eine Autobahn, allerdings von der "verkehrten Seite", das heißt, Paula muss, um auf die Spur zum Einfädeln zu kommen, über die anderen Spuren Autobahn hinüber fahren. Allerdings ist das kein Problem, denn die Autobahn ist vollkommen leer. Nur ein einzelner Wagen kommt in großer Entfernung herangefahren. Paula fährt also los, doch in diesem Moment ist der andere Wagen heran. Darin sitzt ein Mann, der sich sehr erschrickt, die Kontrolle über sein Fahrzeug verliert und die Leitplanke durchbricht. Kaum ist das geschehen, ist die Autobahn voller Wagen, die plötzlich alle aufeinander fahren und gegeneinander stoßen. Auch von der Landstraße biegen LKW's und Busse auf die Autobahn ein und werden in den Massenunfall verwickelt. Dann schießt ein riesiger roter Truck über die Autos hinweg, und überschlägt sich mehrmals in der Luft. Paula denkt: sie muss hier unbedingt fort, sieht dann aber, dass der Truck über sie hinwegfliegen wird. Das geschieht auch. In diesem Moment wacht Paula auf.

Wahrträume
Wahrträume sind hellsichtige Träume, die die Zukunft vorhersagen. Paula rief an, weil sie Angst hatte, dass dieser Traum Wirklichkeit wird. Sie hatte vor fünfzehn das Autofahren aufgegeben, weil sie damals in einen Unfall verwickelt war. Damals hatte ihr ein Mann die Vorfahrt genommen, wodurch sie in dessen Wagen hineingefahren ist. Außerdem ist ihr ein anderer Wagen hinten drauf gefahren.
Paula hat erst vor einem Jahr sich wieder ein Auto gekauft und jetzt natürlich Angst, dass ihr wieder eine solche Situation passieren könnte.

Angstträume
Angstträume funktionieren ganz anders als Wahrträume: Angstträume verarbeiten in Bildern Ängste, über die sich der wache Mensch nicht bewusst ist.
Ich hatte bei Paula sofort die Gewissheit, dass ihr Traum kein Wahrtraum ist, sondern ein Angsttraum.

1. Teil der Traumdeutung
Ich schlug Paula zunächst vor, den Traum symbolisch zu lesen. Das Auto, so deutete ich ihr, ist nicht ein echtes Auto, sondern ihr "sozialer Körper": dieser besteht aus sozialen Regeln. Paula verursacht als mit ihren sozialen Regeln Massenkarambolagen - dies habe ich ihr jedoch erst später gesagt. Zunächst einmal entdeckte Paula, dass es in ihrem Traum nicht um Unfälle, sondern um Streit geht.
Sie fährt friedlich vor sich hin (die Landstraße), will dann etwas zusammen mit anderen Menschen machen (die Autobahn) und automatisch kommt es zum Streit (Unfälle).

Paulas Leben
Hier stutzte Paula.
Tatsächlich hatte sie sich am Abend vorher heftigst mit ihrem Bruder gestritten.
Paula hat zwei Kinder, ein Junge (8) und ein Mädchen (11). Den Vater ihrer Kinder hatte sie kurz nach der Geburt ihres Sohnes verlassen, weil er gewalttätig geworden war.
Vor einem halben Jahr ist Paula dann zu ihrem älteren Bruder gezogen, weil dieser ein Haus besitzt und sie dort billig wohnen konnte. Bis dahin hatte sich Paula mit ihrem Bruder immer hervorragend verstanden. Jetzt aber wurde der Bruder - vor allem, wenn er getrunken hatte - sehr schroff und beleidigend. Immer häufiger kam es zum Streit. Paula wollte die Konflikte mit ihrem Bruder klären, woraufhin dieser sich immer mehr zurückzog und teilweise sich wie ein Kleinkind benahm. Wenn zum Beispiel Paula sagte: "Ich möchte mit dir reden!", verfiel ihr Bruder in eine quäkende Stimme und wiederholte Paulas Satz. Auch wenn Paula nicht direkt mit ihrem Bruder sprach, wiederholte er manche von Paulas Sätzen. Da ihr Bruder sonst ein angesehener und erfolgreicher Geschäftsmann ist, wurde Paula hier zunehmend hilflos. Andererseits kümmerte sich ihr Bruder auch wieder sehr liebevoll um sie, so dass Paula nicht das Gefühl hatte, ihr Bruder sei ihr gegenüber einfach nur boshaft.

2. Teil der Traumdeutung
Paula erzählte also von ihrem Bruder und dann von ihrem Lebensgefährten: auch diese hätten sich ihr gegenüber immer unverschämt oder kalt benommen und hatten ihr vorgeworfen, den Konflikt zu provozieren. Paula war extrem verunsichert, welche Rechte sie hatte. Tatsächlich hatte sich ihr Mann - der Vater ihrer Kinder - wie ein Pascha aufgeführt und ebenso verhielt sich ihr Bruder.
Paula verstand zwar jetzt einen Teil des Traums, fragte sich aber, warum sich der Mann im Auto vor ihr so erschrecken würde. Hier fiel ihr plötzlich auf, dass sie nicht von rechts auf die Autobahn einbog, sondern von links. Die nächste Deutung kam dann von ihr selbst: dass sie von links kam, könnte etwas mit der linken, emotionalen Gehirnhälfte zu tun haben. Sie sei ja so gefühlsbetont. Hier korrigierte ich sie: sie sei nicht gefühlsbetont, sondern habe einfach einen guten Kontakt zu ihren Gefühlen. Tatsächlich fand ich Paula nicht nur sehr reich an Gefühlen: sie konnte eigentlich auch sehr gut mit ihnen umgehen. Warum also war der Mann so erschrocken?
Zuvor hatte Paula schon vermutet, dass die ganzen Busse, die von der Landstraße in den Unfall hineindrängelten, ihre eigenen aufgestauten Gefühle waren. Jetzt legte ich ihr nahe, dass sie von vorne und von hinten, direkt und indirekt von Streit bedroht wäre. Dazu erzählte Paula, dass fast alle ihre Männer sie hinter ihrem Rücken schlecht gemacht hatten, und sogar ihr Bruder würde schlecht über sie reden. Ihr Bruder zum Beispiel behauptete, Paula würde absichtlich die Wohnung verdrecken lassen; etwas, was den Bruder vorher nie gestört hatte (obwohl er eigentlich ganz sauber ist). Paula dagegen hat das Gefühl, dass sie ständig hinter ihrem Bruder herräumt: sie kümmert sich um seine Wäsche, putzt dreimal die Woche das ganze Haus, usw.
Ihr Bruder aber scheint das nicht zu sehen. Wenn er mit ihr streitet, weist er auf die Unordnung hin, wenn er liebevoll zu ihr ist, sagt er ihr, sie sei eine tolle Schwester (er lobt sie also nicht für das Saubermachen).
Paula wunderte sich, dass sie, obwohl sie nie Streit haben wollte und es ihren Männern immer Recht machen wollte, diese so oft zu bösartigen Reaktionen veranlasste. Dass sie durch ihre Duckmäuserei die gewalttätigen Männer oder die aggressionsgehemmten Männer (diese fand sie furchtbar langweilig) anzog, wie ein Licht die Motten, das wollte Paula (noch) nicht sehen.

Paula's Bruder
Ihr Bruder legte im Streit diese seltsame Marotte des Wiederholens an den Tag. Tatsächlich war ihr Bruder ein sehr genauer Mensch, der aber im Alter von 48 noch nie eine feste Freundin hatte. Gegenüber Paula äußerte er sich, dass er eine Geliebte habe. Da er aber fast andauernd arbeitete und sonst zu Hause war, glaubt Paula ihm das nicht.
Paula empfindet diese Wiederholungen ihrer eigenen Sätze als sehr verletzend. Ich deutete diese Sätze als eine Art Mantra. Ihr Bruder würde sie nicht nachäffen, sondern über ihre Sätze meditieren. Wenn ihr Bruder solche Sätze wie "Ich möchte mit dir reden!" oder "Ich fühle mich verletzt!" andauernd und zu den unmöglichsten Gelegenheiten wiederholt, dann, weil er sie "schmecken" möchte, also wissen möchte, wie diese Sätze sich anfühlen.
Paula fand im Gespräch heraus, dass ihr Bruder nur Sätze wiederholt, die etwas mit Beziehung und Partnerschaft zu tun haben.
Ihr Bruder ist einsam und erfolgreich (der einsame Wagen auf der Autobahn). Dann kommt seine Schwester in sein Leben (sie biegt "falsch" ab), er erschrickt und es kommt zu einem andauernden Streit, der die bisherige, nette Beziehung zwischen den beiden vollkommen in Frage stellt (die Massenkarambolage).

Die Kindheit
Paula und ihr Bruder sind in einem Elternhaus aufgewachsen, in dem sich die Eltern oft geprügelt haben.
Paula erzählte, dass sie ganz bewusst an sich gearbeitet hat, um nicht mehr so aggressiv zu sein. Als ich mit ihr sprach, hatte ich das Gefühl, dass sie hier eigentlich einen sehr guten Weg gegangen war. Sie war klar mit ihren Gefühlen und konnte sich sehr differenziert sehen.
Ihr Bruder hatte die Eltern strikt verleugnet. Beide waren in Heimen aufgewachsen und hatten sich erst spät kennen gelernt (Paula ist elf Jahre jünger). Während Paula ihren Gefühlen nachgegangen ist, bis sie einen guten Kontakt zu ihnen hatte, hat ihr Bruder diese Gefühle und damit auch seine Wut, sein Leid und seine Verzweiflung verdrängt. All die Gefühle, die guten, wie die schlechten, die für unsere Beziehungsfähigkeit so wichtig sind, lebte der Bruder nicht bewusst: sie sprudelten aus ihm heraus, ohne dass er richtig begriff, wie ihm geschah.

3. Teil der Traumdeutung
An dieser Stelle fiel Paula das kleine Mädchen ein, dass auf ihrer Rückbank saß, während sie - im Traum - Auto fuhr. Sie sagte, das sei ihre Tochter oder sie selbst. Sie sagte, sie müsse vorsichtig fahren, damit ihrer Tochter (ihr selbst) nichts passiere.
Ich fragte sie, ob sie denn vorsichtig fahren könne. Ja, sagte sie, sie ist immer eine gute Autofahrerin gewesen. Also müsse sie, sagte ich, nicht vorsichtig fahren, sie könne vorsichtig fahren. Was man sowieso kann, dann müsse sie sich nicht deutlich sagen.
Sie bejahte das und sagte zum ersten Mal im Gespräch, dass sie eigentlich garnicht weiß, warum sie sich selbst immer die Schuld gibt, wenn ihre Beziehungen scheitern. Und eigentlich sei sie sogar eine sehr starke Frau. Sie könne sich doch gut schützen und ihre Tochter habe damit auch keine Probleme. Nur: wer saß dann auf ihrer Rückbank?
Ich schlug vor: "Deine Mutter?"
Hier begann Paula zu weinen. Sie hatte ihre Mutter immer vor ihrem Vater schützen wollen. Aber gleichzeitig fand sie es nur gerecht, wenn ihr Vater ihre Mutter schlug, denn sie - die kleine Paula - ist selbst von ihrer Mutter sehr geschlagen worden.
Ihrer Mutter gegenüber fühlte sich Paula, auch nach dreißig Jahren, schuldig.
Du bist, sagte ich zu ihr, immer vorsichtig gefahren, um deine Mutter zu schützen und trotzdem sind deine Partnerschaften immer in Unfällen und Streit geendet.
Aber warum, fragte Paula, hat sich dieser Mann im Auto so vor mir erschrocken?
Vielleicht hat er dich zu spät erkannt, sagte ich. Hier weinte Paula noch stärker.
Und dann ist er entgleist.

Wohin jetzt?
Nachdem Paula sich beruhigt hatte, fragte ich sie, wie sie mit ihren Aggressionen gearbeitet habe. Sie war ja sehr reflektiert und eine richtige Fachfrau auf diesem Gebiet. Wie ich erwartet hatte, sagte Paula, dass sie sehr viele Bücher darüber gelesen habe.
Und was habe sie noch damit gemacht? fragte ich sie.
Wie? fragte sie zurück. Noch mehr?
Nein, sagte ich, noch etwas anderes?
Noch etwas anderes, als darüber nachzudenken?
Ja, sagte ich.
Aber, entgegnete sie, ich hätte doch gesagt, dass sie das sehr gut gemacht habe: sie hat einen guten Kontakt zu ihren Gefühlen, auch zu den negativen, und könne sich gut in andere Menschen hineindenken.
Außer in aggressive Männer, sagte ich.
Das stimmt. Und Frauen.
Hier schwiegen wir beide. Dann begann Paula wieder leise zu schniefen.
Sie habe, sagte sie, eigentlich ihr ganzes Leben versucht, ihre Eltern zu verstehen und warum sich diese ständig geprügelt haben. Doch jetzt könne sie zwar alle Menschen verstehen, aber gerade die, die sie habe verstehen wollen, die seien ihr fremd geblieben. Sie sei mit ihrer Lebensaufgabe gescheitert.
Ja, lächelte ich, aber auf eine sehr großartige Art und Weise.
An dieser Stelle spürte ich, nicht zum ersten Mal in diesem Gespräch, wie eine Welle wundervoller Energie von ihr ausging. Ja, dachte ich bei mir, diese Frau verdient eigentlich den besten aller Männer und nicht einen dieser huschigen Warmduscher oder dieser aggressiven Idioten.
Was kann ich denn jetzt tun? Werde ich noch einmal im Leben glücklich sein? fragte sie.
Ich wusste die Antwort eigentlich schon, zumindest auf die erste Frage. Paula hatte ihre Aggressionen gegen sich gewandt: ihre eigene Analyse war so etwas wie eine sehr vorsichtige Autoaggression. Sie war vorsichtig dabei und deshalb war die Autoaggression auch gut. Was ihr fehlte, zumindest teilweise fehlte, war eine gute Aggression nach außen.
Was ist eine gute Aggression nach außen? Das eine ist die Neugier und das Lernen, das andere die Kreativität.
Und genau das habe ich ihr dann auch empfohlen.

Paula wollte schon immer schreiben lernen. Das ist ja eins meiner Lieblingsthemen. Also habe ich ihr versprochen, hier ein paar Schreibtipps hineinzustellen und ihr ein Buch zu empfehlen. Schreiben ist schon sehr diszipliniert und wer sich dazu nicht bereit fühlt, sollte auf das Skizzieren oder freie Tanzen zurückgreifen.