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Donnerstag, 15. Februar 2007

Alter und neuer Schamanismus - und noch einmal Kultur

Schon länger hatte ich versprochen, dass ich hier in meinem Blog etwas zum Schamanismus schreibe. Eigentlich war dies sogar der Grund dafür, diesen Blog einzurichten, um all diejenigen Ratsuchenden, die bei mir anrufen, eine Gelegenheit zu bieten, sich damit kritisch auseinanderzusetzen.



Googelt man nach dem Wort "Schamanismus", dann findet man eine solche Unmenge an Seiten, dass man sich wie erschlagen vorkommt. Und das Beste ist: Jede Seite enthält andere Heilsversprechen.


Nun: natürlich nicht jede Seite, doch die kritischen Stimmen zu finden ist nicht so einfach.



Wenn man sich die Diskussion um den Schamanismus genauer anschaut, findet man rasch ein seltsames Wort für diese neue Art des Schamanismus: den Neoschamanismus.



Was ist nun der Neoschamanismus?


Die Schamanisten im Internet bezeichnen sich selbst nicht unbedingt als Neoschamanisten. Trotzdem kann man recht schnell unterscheiden, wer Schamane und wer Neoschamane ist.



Die Evangelische Informationsstelle bietet dazu einige wertvolle kritische Anmerkungen an.



Demnach trennen sich Schamane und Neoschamane auf folgende Art und Weise:

  • Der Schamane ermuntert nicht zu Reisen in die Anderswelt. Der Neoschamane bewirbt diese offensiv.
  • Der Schamane hält Reisen in die Anderswelt für gefährlich. Der Neoschamane verbindet damit ein Versprechen auf Glücksseligkeit.
  • Der Schamane wandert nur im Dienste seines Stammes. Der Neoschamane wandert zur Selbsterkenntnis und zum puren Erleben der "Geisterwelt".
  • Der Schamane wandert aus Notwendigkeit. Der Neoschamane wandert aus Neugierde oder Selbstbefriedigung.
  • Der Schamane wandert alleine oder höchstens in Begleitung eines "Schülers". Der Neoschamane bietet Gruppenreisen an.
  • Der Schamane nimmt einen "Schüler" auf unbestimmte Zeit an. Der Neoschamane verlangt Kursgebühren und lehrt ihn in praktischen Wochenendseminaren.
  • Der Schamane ist Schamane. Der Neoschamane ist nebenher auch noch Astrologe, Kartenleger, Reiki-Meister, vertritt den Huna-Schamanismus und die buddhistische Tradition in titelgerechter Mischung.

Vorsicht also auch hier vor solchen Angeboten.



Allzuoft entpuppt sich nämlich die schamanistische Reise als eine schlichte, geführte Phantasiereise, als ein weichgespültes katathymes Bildererleben.


Ich sage damit nicht gegen Phantasiereisen und andere Methoden. Hier geht es mir tatsächlich um eine Abgrenzung und eine Achtsamkeit gegenüber Glaubensarten. Ihr kapitalistischer Ausverkauf jedenfalls kann nicht die Lösung sein.



Echter Schamanismus? Geht das noch?


Das allerdings ist die große Frage.


Können wir hier, mitten in Deutschland, noch echten Schamanismus leben?



Dagegen sprechen viele Tatsachen:

  • Der Schamane wird von einem anderen "echten" Schamanen und meist innerhalb seines Stammes durch einen Ritus initiiert.
  • Der Schamane hat einen Stamm, in den er eingebunden ist.
  • In einem Stamm gibt es selten mehrere Schamanen.
  • Der Schamane gibt Traditionen aus dem Stamm weiter und pflegt diese.

Schon der erste Punkt weist darauf hin, dass ein zukünftiger Schamane sich nicht selbst aussucht, und schon garnicht sich selbst um sein Schamanendasein bemüht, sondern ihn ungewöhnliche Lebensumstände wie außergewöhnliche Träume, krisenhafte Lebenssituationen als Auserwählten zeichnen. Oder glauben Sie, dass die alten Schamanen Flyer geschrieben haben, in denen sie ihre Praktiken angepriesen haben?



Eine andere Frage ist, wo der Schamane heute noch seinen Stamm hat?


Sicherlich: da gibt es diese Gruppen, die ihren Schamanismus gegenseitig pflegen. Allerdings: ist das nicht eher wieder Gruppen-Erlebnispädagogik als echter Schamanismus? So nämlich sehen die Angebote meist aus. - Damit will ich die Angebote an sich nicht madig machen. Vielleicht sind sie ja tatsächlich gut. Aber ernsthaft: Wo gibt es da denn noch Gemeinsamkeiten mit den alten Schamanen? Spätestens dort, wo die schamanistischen Praktiken den kulturellen Grenzen der Peinlichkeit weichen müssen, hört doch jeder Neoschamane auf. Oder würden Sie sich, um Ihre Offenheit gegenüber den helfenden Geistern zu zeigen, nackt ausziehen und um Ihr Dorf oder Ihren Lagerplatz herumlaufen? Zum Beispiel in Hamburg einmal nackt um Altona herum?


Und was ist denn "Ihr" Dorf? Auch das ist eben nicht klar.



Schamanismus, echter, guter, klassischer und traditioneller Schamanismus: das geht eben nicht mehr.



Trotzdem Schamanismus


Aber es gibt Gründe, am Schamanismus festzuhalten.


Einer der wesentlichsten Gründe ist, dass es tatsächlich so etwas wie schamanische Erfahrungen auch in westlichen Kulturen gibt. Und auch wenn man diese nicht als Initiation verstehen darf, sind es eben doch Erfahrungen mit der Anderswelt.



Hier aber stellt sich ein großes Problem:


Was kann und darf dieser europäische Schamane?



Die Neoschamanisten beantworten diese Frage mit zweierlei Maß:


Erstens werden so genannte traditionelle schamanistische Ausbildungen angeboten, sei es im hawaiianischen, sei es im indianischen, sei es im koreanischen Schamanismus.


Zweitens aber werden offiziell oder inoffiziell Versatzstücke in diesen Schamanismus hinein gebracht: Reiki, Traumreisen, Techniken der Erlebnispädagogik und halbtherapeutische Techniken.



Falsch ist das nicht. Nur oft sehr undurchdacht und plakativ.



Jeder traditionelle Schamanismus wird in unserer Kultur nicht funktionieren. Es lohnt sich also nicht, ihn anzubieten. Jeder Schamanismus passt sich an die Gruppe an, in der der Schamane lebt und praktiziert.


Diese Wandlung des Schamanen macht natürlich dann das Anbieten anderer Methoden sinnvoll. Hier ist aber die Frage, inwieweit diese Wandlung durchdacht und auf die Realität der Kultur ausgerichtet ist.



Wie die Evangelische Informationsstelle zum "Bärenstamm" schreibt:


"Aus den Widersprüchen der modernen Gesellschaft führt auch hier keine kulturhistorische Realität, sondern eine ebenso begriffliche wie offensichtliche Fiktion." (ganzer Artikel)



Der Schamane allerdings ist jemand, der die Kultur gerade nicht mit Fiktionen anreichert, sondern mit Realitäten. Die andersweltliche Realität spielt dabei eine zwar wichtige, aber zeitlich sehr begrenzte Sonderrolle. Der Schamane beobachtet ebenso die Entwicklung seines Stammes. Er ist ein Sozialforscher, der qualitative Aussagen macht. In diesem Sinne lassen sich die Erläuterungen von Schamanismus-Information verstehen.


Über diesen Aspekt wird gerne hinweg gelesen. Zu wissenschaftlich erscheint er, zu rational, zu mühsam; man müsse ja sozialkritisch werden und sich auf ernsthafte Auseinandersetzungen einlassen.



Da reist man doch lieber mal zwischen Müsli-Frühstück und dem Weg zur Arbeit zur kranken Freundin und heilt ihr den Schnupfen durch positive Energien weg.


Da macht man auf Mallorca-Sightseeing im Geisterbereich. Was gibt das für Ah!'s und Oh!'s!



Entschuldigen Sie, dass ich hier boshaft werde. (Aber bleibt mir - ehrlich gesagt - etwas anderes übrig?)



Die Erforschung des Sozialen in all seinen Aspekten, die gründliche und gewissenhafte Diagnose, an diesen kommt kein echter Schamane vorbei.


Einfach nur zu behaupten, man habe sich von seinem Kontakt zur Erde getrennt und sei deshalb krank und mit einem selbst auch die ganze Kultur: das ist sehr eindeutig Fiktion. Und das ist vor allem nicht nur Fiktion, dass ist schon die Vorstufe zu absonderlichem Verhalten, Soziopathie und paranoiden Weltsystemen.



Was also kann und darf und soll der europäische Schamane?


Der neue, der europäische Schamane sollte und müsste mit der Kultur als Ganzes arbeiten.



Kultur? Was das ist?


Die Ethnologen (also die "Volkskundler") haben sich seit langer Zeit von dem Begriff der Kultur verabschiedet. Zu schwierig sei er, zu ungenau, zu vorbelastet (siehe auch hier).



Kann man trotzdem die Kultur definieren? Ja, wenn man sie nicht als Einheit sieht, sondern als ein örtliches Gemisch.


Deshalb gibt es hier eine kleine praktische Anweisung, wie Sie sich Ihre eigene Kultur schaffen:

  1. Ziehen Sie zunächst um Ihren Wohnort eine mehr oder weniger weitläufige Grenze.
  2. Erforschen Sie alle kulturellen Phänomene innerhalb dieser Grenze.
  3. Da alles, was innerhalb dieser Grenzen passiert, auch Kontakt zu dem Jenseits der Grenzen hat, erforschen Sie auch die Kultur außerhalb dieser lokalen Grenzen. Fernsehen und Zeitschriften, Maggi-Suppen und ungarische Salami, Ihr Geld und Ihre Kleidung werden wohl kaum in Ihrem direkten Umfeld hergestellt. Ihr Strom kommt auch nicht aus der Steckdose, sondern aus dem Atomkraftwerk in dreihundert Kilometer Entfernung. Trotzdem sind all diese Dinge in Ihrem Umfeld vorhanden. Wollen Sie also innerhalb der Grenzen Ihre Kultur erforschen, müssen Sie ständig diese Grenzen überschreiten.
  4. Und wenn Sie schon dabei sind, Grenzen zu überschreiten, dann machen Sie es sich doch gleich zur Pflicht, diese nicht nur entlang der üblichen Wege zu überschreiten, sondern auch der unüblichen Wege. Wann haben Sie das letzte Mal etwas von Goethe gelesen? Kennen Sie Jürgen Habermas oder Niklas Luhmann? Gehen Sie ins Museum? Backen Sie Kuchen für Schulfeste, die nicht aus den Fertigteigmischungen von Aldi bestehen? Züchten Sie Kräuter? Oder setzen Sie sich ernsthaft mit politischen Gemälden auseinander? - Nein? Warum nicht? Nicht esoterisch genug? Oder muss man erst das Wort "Heilversprechen", und "Jetzt mit kostengünstigem Wochenendseminar in naturnahgelegenem Tagungshaus" draufpappen, damit Sie mal wieder zu Goethes "Faust" greifen oder ernsthaft kreativ werden?

Sie merken schon: die Kultur habe ich Ihnen nur als Widerspruch definiert.


Gehen Sie zu eingeschränkt mit dieser Kultur um, werde ich spottlustig. (Humor, Scherze, Ironie, Spott: das ist etwas Wundervolles! - viel besser, als aus dem Bauch heraus seine Natürlichkeit zu schöpfen.)



Der Schamane also muss neben all seinen mystischen Tätigkeiten - wenn schon, denn schon - auch ein großer Beobachter und ein großer Mischer der Kultur sein.


Vielleicht - aber nur vielleicht, denn sicher bin ich mir damit auch nicht - werden wir dann irgendwann echte europäische Schamanen haben.



Das hat irgendwie auch etwas mit Selbsterfahrung zu tun - aber nicht vorrangig.



Diesmal sehr streitsüchtig und anstrengend,


Ihr Adrian



P.S.:


Bei google wird mit folgender Anzeige geworben:


"Neo-Schamanismus 2006 - Ursprüngliche Erkenntnisse angepasst an heutige Bedürfnisse"


So weit, so gut. Nichts anderes sage ich auch.


Dann aber folgt das Angebot, das dahinter steht: Selbsterkenntnis, Stressabbau, Gruppenverfahren. Aber Schamanismus? - Nicht die Spur davon!


Im Gegenteil! - Lesen Sie zum Beispiel diesen Satz von der ersten Seite: "Erst wenn wir unsere inneren Kräfte und Resourcen anzapfen und erweitern, können wir unseren tagtäglichen Herausforderungen effektiver begegnen." - Was halten Sie von diesem Satz? Wäre doch eigentlich toll, oder? Nur sollten Sie bedenken, was dahinter steht: hier wird nicht die Heilung einer Gesellschaft versprochen, nicht ein Arbeiten an einer besseren Kultur. Hier wird die Anpassung an die gesellschaftlichen Entwicklungen versprochen, und seien diese noch so krank und gnadenlos. Aber das kann nun wirklich kein Schamanismus sein! (Dazu ein leider vergriffenes, aber hervorragendes Buch. Vielleicht wird es ja noch einmal neu aufgelegt.)

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