Kartenlegen und Traumdeutung
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Freitag, 23. März 2007

Kartenlegen: Arbeit an der Befreiung

Ota
Im ersten Moment, als ich Ota kennen lernte, war ich überwältigt. Ein Schwall von Worten floss aus ihrem Mund hervor. Sie habe sich jetzt die Tarotkarten gekauft und lege selbst, sie wolle jetzt mal zu einem professionellen Kartenleger gehen und hören, ob sie – Ota – Recht habe.
Ich fragte sie, ob ihr Kartenlegen ihr bisher das Richtige gesagt habe.
Ja, sie würde sich jeden Tag die Karten legen und danach handeln. Sie lege übrigens immer das Keltische Kreuz – ich runzelte die Stirn: jeden Tag das Keltische Kreuz? -, denn ihre Situation sei ja auch sehr verworren und sie sei – hier lachte sie – seit Jahren depressiv. Aber jetzt würde sie Karten legen und das helfe.
Du bist also nicht mehr depressiv?, fragte ich.
Doch, natürlich, das geht ja nicht von einem Tag auf den anderen. Aber heute zum Beispiel lag in ihren Karten, dass sie Kontakt zu einem spirituellen Mann aufnehmen solle, und schon hätte sie mich angerufen.
Welche Karte ihr denn gesagt habe, dass sie einen Mann anrufen solle?
Der Magier, sagte sie, und fügte hinzu: In der achten Position. (Die achte Position beim keltischen Kreuz ist die Umfeld-/Umwelt-Karte: "So sehen es die anderen.")

Ota war kaum zu bremsen. Sie deutete die Karten wild drauf los. Sehr rasch wurde mir klar, dass Ota nicht nur die Karten einzeln deutete, ohne Verbindung zu den anderen Karten, sondern dass sie auch erwartete, dass alles so, ohne ihr eigenes Zutun, eintreffen würde. Lag auf der zehnten Position (im keltischen Kreuz: Dahin führt es) eine gute Karte, war sie den ganzen Tag voller Hoffnung; lag auf der zehnten Position eine schlechte Karte, war sie den ganzen Tag über bedrückt. Ota nutzte die Karten nicht dazu, sich über ihre eigene Lage klar zu werden und neue, kreative Impulse für ihre Handlungen zu bekommen. Sie bastelte sich mit den Karten ein Korsett, in das sie ihre Gefühle einzwängte.

Ota's Geschichte
Ota war zu dem Zeitpunkt, als ich sie kennen lernte, 43 Jahre alt – etwa zwölf Jahre älter als ich. Mit 28 heiratete sie einen Mann, der geschäftlich viel unterwegs sein musste und sie darüber vernachlässigte. Die Ehe war kinderlos geblieben. Ota, die in ihrem Leben nie eine Lehre gemacht hatte, blieb zuhause und beschäftigte sich mit irgendetwas. Nach elf Jahren Ehe kauften sie ein Haus, im dreizehnten Jahr der Ehe wurde Ota depressiv. Ein Arzt verschrieb ihr Pillen dagegen. Zu einem Psychotherapeuten hatte sie es nie geschafft.

Ich war hin- und hergerissen. Auf der einen Seite schaffte sich Ota mit ihren Karten ein kleines Alltagsritual. Solche Alltagsrituale sind gerade für zu depressiven Verstimmungen neigenden Menschen sehr wichtig. Auf der anderen Seite macht Ota sich so sehr von den Karten abhängig, dass sie sich eigentlich immer weiter in einen depressiven Charakter hinein "grub".
Sie hatte keine Hobbies, außer Fernsehsehen und Kartenlegen und verschiedenen Heftchenromanen, die sie regelmäßig las (solche, mit halbnackten, wild-eleganten Männern und luxuriös-üppigen Frauen auf dem Titel). Sie hatte keine Freunde. Die Beziehung zu ihrer eigenen Familie war extrem unterkühlt.

Die Karten
Ich unterbrach Ota, weil sie einfach weiter redete und redete.
Daraufhin zeigte Ota ein ganz anderes Gesicht: Sie würde mich bezahlen, also müsste ich auch ...
Irrtum, entgegnete ich. Ich werde für das Kartenlegen bezahlt und nur nebenbei für das Zuhören.
Na, sagte sie pikiert, dann leg' mir mal die Karten.

Auch ich benutze gerne das Keltische Kreuz. Bei Ota hatte ich den Impuls, eine andere Legeweise zu nutzen. Auf der einen Seite hatte ich Angst, dass sie mir ständig die Deutungen – in ihrer Weise – vorgibt, auf der anderen Seite dachte ich mir, dass ich hier ganz gut einen Dialog herstellen könnte. Letztendlich entschied ich mich für das Keltische Kreuz.

Die Kombination war folgende:
1. "Das Universum" - umgedreht
2. "Prinz der Stäbe"
3. "Der Stern" - umgedreht
4. "Zehn Scheiben" - umgedreht
5. "Ausgleichung"
6. "König der Stäbe"
7. "Zehn Kelche" - umgedreht
8. "Königin der Scheiben" - umgedreht
9. "Tod"
10. "Glück" – umgedreht

Bei der ersten Karte sagte Ota: "Hier kommt ein guter Weg ins Stocken. Ein Hindernis baut sich auf." und zur achten Karte sagte sie: "Die Umwelt nimmt mir meine Unabhängigkeit, weil (!) ich auf viel verzichte."

Ich schlug Ota nun folgende Deutung vor:

Überforderung als Grundsituation
Das Universum zeigt auf, dass es um Verstrickungen geht, aus denen man sich befreien muss und die einen bisher an der Vollendung gehindert haben. In der umgedrehten Lage weist die Karte auf den Stillstand hin, auch auf eine Überforderung. – Häufig wird die Karte als das Erreichen eines besonders erstrebenswerten Ziels gedeutet, als Vollendung eben, aber als starre Vollendung, als eine Art Besitz. Es gibt auch Situationen, da stimmt das so. Weit häufiger aber deutet die Karte auf ein harmonisches Sich-Einfügen in die Umwelt hin, also auf einen "vollendeten" Prozess.
Ota selbst war erstarrt. Und man hätte nicht in die Karten schauen müssen, um zu wissen, dass sie sich selbst hier dringend ändern sollte.

Ungeduld als Einfluss
Otas Ungeduld war augenscheinlich. Wie geht es weiter? stand hinter allen ihren Fragen. Worauf kann ich ganz fest bauen? Was überhaupt ist sicher in meinem Leben?
Ota war gefesselt, vor allem durch ihre unglaubliche Unsicherheit. Ihr kalter und abwesender Mann, ihre fehlenden sozialen Kontakte, ihr Unwissen darüber, was sie mit ihrer Zeit anfangen sollte – all dies hielt sie in ihrer momentanen Situation gefangen.

Der Prinz der Stäbe lag hier als Einflusskarte über der Grundkarte. Den Prinz der Stäbe bezeichnen Akron und Hajo Banzhaf auch als "Sohn der Willenskraft". Er steht für die Aktivität, den Übermut und den Erlebnishunger, im Negativen für Unruhe, Ungeduld und Destruktivität.
Sehr wichtig ist bei dieser Karte übrigens, dass sie kein Ziel bezeichnet, sondern die Art und Weise, also eine Qualität oder einen Charakterzug.

Ota fragte schon zu Beginn unseres Gesprächs, wann sich denn endlich mal etwas ändern würde. Sie war sich durchaus bewusst, dass sie stecken geblieben war. Statt aber hier sich auf den Weg zu machen, starrte sie auf ein Ideal. Sie wollte sich erst sicher sein, dass sie dieses Ideal erreichen würde und dann sollte es auch schnell kommen. Im Grunde aber würde sie damit nichts ändern: ihr jetziger Zustand war passiv. Hätte sie das Ideal erreicht, wäre sie wieder zum Stillstand verdammt – denn wer verlässt schon den idealen Zustand?

Also deutete ich die Karte so: Der Prinz der Stäbe warnt dich vor zu viel Ungeduld, denn damit zerstörst du dich nach und nach selbst. Du hast deine aktive Kraft gegen dich selbst gerichtet. Hier in diesem Kartenbild geht es darum, diesen aktiven Drang nach außen zu wenden, zu deinem eigenen Wohl und zum Wohl anderer.

Die richtige Idee, heillos übertrieben: Harmonie und Struktur
Auf der 5. Position (Das hat dahin geführt) lag die Ausgleichung, eine der großen Arkanen. Die Ausgleichung steht für Erkenntniswille und Harmoniefinden durch Bewältigung der Wirklichkeit. Hier wurde ich unsicher. Denn die 5. Position zeigt an, was zu der derzeitigen Position geführt hat, und man konnte nun wirklich nicht behaupten, dass Ota ihre Wirklichkeit so bewältigte, dass sie Harmonie fand.
Trotzdem deutete ich die Karte so: Ota sei zu sehr auf ein Gleichgewicht aus gewesen. Sie wollte so sehr Harmonie, dass sie nicht gemerkt habe, wie alles zum Stillstand kam.
Na, sagte Ota an dieser Stelle entrüstet, so ein Familienleben wie früher wolle sie auch nie wieder haben.

Hier erzählte Ota von ihren chaotischen Familienverhältnissen. Die Mutter hatte fünf Kinder von drei verschiedenen "Freunden", der Vater, ein kleiner Büroangestellter, sei hilflos und schweigsam durch das Familienleben hindurchgeschlichen und sehr rasch gestorben, nachdem er in Rente gegangen war. Ota's Mutter lebte noch und sei mit ihren 77 Jahren eine immer noch sehr herrische und abwertende Frau.
Natürlich wurde hier deutlich, was Ota sich immer wünschte: ein ruhiges und geordnetes Familienleben. Was sie bekam, war eine Ehe, in der sie mit sich selbst alleine war und einen Ehemann, der wie ihr Vater eigentlich nicht existierte.
In der Art, wie Ota ihre Mutter schilderte, erkannte ich Ota wieder.
Ota hatte alles übertrieben und wurde mehr und mehr so, wie sie überhaupt nicht sein wollte: wie ihre eigene Mutter. Sie hatte sich Harmonie gewünscht, pendelte stattdessen aber zwischen Kontrolle und Kontrollverlust.

Der große Umbruch – Angst und Hoffnung
In der 9. Position (Das erwartet oder befürchtet der Frager) lag der Tod. Der Tod steht im Tarot für die tiefgreifende Transformation. Im Positiven bedeutet er, dass man Platz für Neues schafft, im Negativen die Todesangst.
Ota spürte beides. Irgendwo wusste sie, dass sie ihr Leben radikal ändern musste, aber sie hatte auch größte Angst davor. Veränderung hieß für sie Chaos – so hatte sie es gelernt.

Hier wurde auch Ota's Trick deutlich, mit dem sie sich blockierte. Ota wünschte sich ein ideales Leben. Sie hatte eigentlich einen ungebändigten Drang nach Schönheit, Anmut, Eleganz und tiefer Weisheit. Indem sie dieses Leben aber zu einem Ideal erhob, umging sie alle Lebensstationen, die dazwischen lagen: sie leugnete die vielen kleinen Schritte, die dazu notwendig waren. Sie leugnete vor allem den Umbruch, der ihr solche Angst machte. Ihr heimlicher Fahrplan hieß: Veränderung ohne Veränderung.

Illusionen
Die 3. und 4. Karte zeigen auf den Charakter des Fragenden. In der 3. Position geht es um das bewusste Erkennen, in der 4. Position um das Erspüren, um emotionale Notwendigkeiten oder notwendige "Lebensatmosphären".
Ota deutete den Stern, der auf der 3. Position umgekehrt lag, als "Talente und Hoffnungen werden zerstört. Schlechte emotionale und geistige Gesundheit". Falsch ist das nicht, widerspricht aber der Position selbst.
Ota erkennt dies inhaltlich, so sagt es die Position. Und indem Ota die Karte interpretiert, erkennt sie natürlich, was der Inhalt der Karte bedeutet. In Wirklichkeit spielt hier aber die Position der Karte eine große Rolle: Was Ota erkennt, kann durchaus eine Illusion sein. Dass Ota hier glaubt, dass ihre eigenen Talente und Hoffnungen zerstört werden, zeigt auf die negative Bedeutung des Sterns: Leugnung der Wahrheit, Illusion. Ota weiß nämlich nicht mehr, was sie alles kann. Sie probiert so wenig aus, bleibt in ihrem täglichen Einerlei so starr stecken, dass sie auch nie erfährt, wo ihre Entwicklungschancen liegen. "Wenn ihm nie etwas passiert, dann passiert ihm ja nie was.", sagt der Fisch Dori im Pixar-Film "Findet Nemo". Genau so.

Der Stern zeigt auch eine Richtlinie auf: die Hingabe an den Augenblick. – Bei Ota ist dies mehr als sinnvoll. Sie erstarrt vor dem Ideal, weicht der Veränderung aus und verliert sich so selbst.

Die 4. Karte – die zehn Scheiben – lag in umgedrehter Position. Ota – sie unterbrach mich nur noch dieses Mal in meiner Deutung – deutete diese so: "Das gute Bild (!) des Ratsuchenden ist in Gefahr. Alle Risiken sollten vermieden werden." Das war ersten hübsch auswendig gelernt, zweitens passte es aber auch so gut in ihre Erstarrung hinein.
Ich sagte zu Ota, dass sie doch bitte mir das Deuten überlassen sollte. Hier, so sagte ich ihr, geht es nicht darum, jede Karte nach und nach durchzuplappern, wie es im Buch steht, sondern das Zusammenspiel der Karten im Auge zu behalten. – Dies ist, nebenbei bemerkt, ein häufiger Fehler von Kartenlegern, Anfängern wie Professionellen. Die Karten geben hier zwar Tendenzen vor, aber der Leim, der diese zusammenbringt, ist die psychologisch fundierte Deutung. Kartenlegen hat viel weniger mit orakelhaften Sprüchen als mit einem feinen psychologischen Gespür zu tun.
Meine Deutung der Karte war also folgende: Du lebst zwar in gesicherten materiellen Verhältnissen, aber die Angst vor der Veränderung hat dich habgierig gemacht. Du klammerst dich sinnlos an sinnlosen Besitz. Irgendwie weist du, dass du durch eine arme und düstere Zeit hindurch musst, aber du willst es nicht.

Seelenzergliederung – Kreativität
Die 7. und 8. Position, die eigene Sicht der Situation und die Sicht anderer Menschen, weisen häufig auf zentrale Konflikte hin. Zudem ermöglicht es die 7. Position, hier die Schwächen und Fehler des Fragenden behutsam aufzudecken, und ihn dann mit dem Bild, das andere von ihm haben, zu konfrontieren. Natürlich sollte man sich hier als Kartenleger auch im Klaren sein, was man dem Fragenden zumuten kann und was die Zukunftskarten (6. und 10. Karte) vorschlagen.
Man kann hier auch bereits genannte Konflikte beiseite lassen oder anders wieder aufgreifen.

Zur 7. Karte – die Zehn Kelche – ziehen sich nun zahlreiche Verbindungen zu den anderen Karten. Die Zehn Kelche heißen im Crowley-Tarot "Sattheit". Banzhaf und Akron nennen sie auch "Die Wasser der Vollendung und der inneren Erfüllung".
Da sich die ganze Situation um die Vollendung (Universum auf der 1. Position) drehte, um das Überwinden verworrener und ohnmächtiger Lebenssituationen (die Kindheit Ota's – Die Ausgleichung auf der 5. Position), um die Hingabe (Stern) und das Anerkennen von Grenzen (negativer Reichtum), zeigte die ganze Tendenz der Karten – bisher – auf die Analyse der Vergangenheit und die kreative Arbeit an der eigenen Zukunft.
Zudem zeigt ihr emotionales Verhaftetsein im Besitz (negativer Reichtum auf der 4. Position) und ihre Fähigkeit zur Illusion (negativer Stern auf der 3. Position) auch die Möglichkeit an, dies ins Positive zu drehen: die erdgebundene, klare und soziale Kreativität.
Zunächst aber verwies die Karte "Zehn Kelche" noch einmal auf Ota's Schatten: die innere und selbstzerstörerische Leere, die Ota spürte, während die Königin der Scheiben die Außenwelt und deren Blick auf Ota zeigten – auch hier in der negativen Form: Verbitterung, Verhärtung, Unfruchtbarkeit.

Ota's Innensicht und der Blick, mit der die Umwelt ihr begegneten, passten hier perfekt zueinander. Tatsächlich erzählte Ota hier zwei Anekdoten: in der einen bezeichnete ein Junge sie als "Hexe". Sie war darüber sehr erschrocken und mied die Blicke anderer Menschen noch mehr als sonst.
Ota hatte schon vor langer Zeit zunächst den Blick nach innen gewendet: sie selbst sei nicht in Ordnung, sie selbst habe an allem Schuld. Sie hatte die Sprüche ihrer Mutter und ihrer wechselnden Freunde, ihrer Klassenkameraden, als sie klein war und ihrer ersten Freunde, als sie größer war (und sie verließen), - sie hatte all diese Sprüche perfekt und ohne zu zweifeln verinnerlicht. Ernst Bloch beginnt sein Buch "Tübinger Einleitung in die Philosophie" mit den Sätzen "Ich bin. Aber ich habe mich nicht. Darum werden wir erst." Blochs Philosophie ist eine Philosophie des kritischen und kreativen Tätigseins. Ota's Umgebung lieferte nun die Philosophie der destruktiven Kontrolle. Hätte ihre Mutter eine Einleitung in die Philosophie geschrieben, könnte sie diese so beginnen: "Ich bin. Aber du hast dich nicht. Darum kann ich mit dir machen, was ich will."
Ota hatte also lange eine unfruchtbare Seelenzergliederung betrieben, dabei aber das kritische und kreative Handeln vergessen. Obwohl also die Karten auch die Analyse der Vergangenheit empfahlen, empfand ich hier die fehlende Kreativität als so übermächtig, dass ich dieser eindeutig den Vorrang gab.
Selbstbefreiung durch kreatives Handeln – so lautete hier die ganze Tendenz des Kartenbildes.

Einswerden mit den inneren Bildern
Die 6. Position, die nahe Zukunft, zeigte den Ritter der Stäbe, den Vater der schöpferischen Vorstellungskraft. Er liegt im Positiven da und bildet einen deutlichen Bezug zur negativ liegenden Königin der Scheiben und den zehn Kelchen. Beim Ritter der Stäbe ist alles Dynamik, wo die Königin der Scheiben Erstarrung und die zehn Kelche Leere anzeigten.
Der Rat, den der Ritter der Stäbe gibt, ist seltsam, vor allem in Otas Fall: Einswerden mit den inneren Bildern.
Der Rat ist aber sinnvoll. Ota hat die Meinungen anderer nie gelassen akzeptiert. Statt weiterzugehen ist sie stehen geblieben und hat auf den günstigen Moment gewartet, in dem sie beweisen konnte, dass sie doch etwas Wert sei. Sie dachte, wenn sie ihren Wert zeigt, werden die anderen ihre Meinung ändern. Aber natürlich kam dieser Moment nie.
Auf der anderen Seite aber machte Ota recht früh Erfahrungen mit der destruktiven Aggression. Aggression an sich war schändlich, glaubte sie. Und so versagte Ota sich aggressive Handlungen, aber auch alles, was damit zusammenhängt: das Lernen, die Kreativität, die innere und die äußere Reise – letztendlich sogar die Liebe.
Natürlich war Ota auch aggressiv. Aber das verstand sie nicht. Sie wollte es nicht sehen.

Ich gab ihr also den Auftrag der Karten weiter, diese destruktiven Bilder nicht von außen zu bekämpfen, sondern sie von innen heraus zu sprengen. Sie sollte das "Wesen" dieser Zerstörungskraft von innen heraus erfahren. Dazu empfahl ich ihr, sich in eines dieser Bilder hineinzuversetzen und von diesem Bild – der Mutter, einem ihrer Freunde, oder auch nur der bleiernen Leere – her einen Brief an Ota zu schreiben. Ota sollte destruktiv gegenüber Ota sein, zumindest auf dem Papier. In der Realität beherrschte sie das ja schon hervorragend.
Außerdem empfahl ich ihr beim Fernsehsehen zu kritzeln. Wenn sie mal ein Gesicht oder ein Tier darin entdeckte, sollte sie dieses durch dickere Linien betonen. Ansonsten sollte sie einfach weiterkritzeln.

Der erste Auftrag spiegelte natürlich Otas Situation wieder. Diese Situation versuchte Ota aber bisher rein gedanklich zu lösen und deshalb drehte sie sich im Kreis. Das Zu-Papier-bringen im Brief verdeutlichte nicht nur diese Situation, sondern ermöglichte Ota auch ein erstes, kreatives Handeln. Zudem konnte sie, indem sie sich mit den destruktiven und aggressiven Impulsen identifizierte, so hoffte ich, ihre eigene Lust an der Aggression wiederentdecken.
Die Kritzeleien sind eine andere schöne Form einer flüchtigen und zwanglosen Kreativität. Man muss eben nichts Endgültiges herstellen, sondern fängt diese Kritzelfiguren "im Fluge" ein, das heißt, wie sie eben kommen. Zudem ist freies Malen immer auch eine Schulung des Auges - nicht in der gleichen Form, wie wenn man Portraitzeichnen macht, sondern kreativer und subjektiver.

Warnung vor schnellen "Erfolgen"
Die letzte Karte, das Glück, deutete ich hier, da sie umgedreht lag, als Warnung, auf zu schnelle Erfolge zu hoffen. Sie habe, so sagte ich zu Ota, viel Arbeit vor sich. Ota akzeptierte diese Deutung widerspruchslos, obwohl sie zu Beginn der Deutung gleich rief: Oje, das bedeutet einen Rückfall.

Fazit
Das Kartenbild, dass ich für Ota gelegt habe, zeigte sehr deutlich auf die Veränderungen hin, die uns ein Leben lang begleiten, und denen wir nicht ausweichen dürfen. Die Vollendung, die in der Ausgangssituation steht, wendet sich hier gerade gegen das Ideal als starres Bild, und setzt den Prozess als die andere Möglichkeit, sich zu vollenden, hin.
Die Welt ist im Wandel. Wir begleiten sie ein Stück.

Schluss
Ich bin mit Ota schon im ersten Gespräch sehr direkt und konfrontativ umgegangen. Dass muss nicht immer richtig sein. Manchmal kann es sogar ziemlich schaden. Hier ist die Sensibilität des Kartenlegers sehr gefragt. Trotzdem muss jeder Kartenleger immer auch auf die Mitarbeit und das Weiterarbeiten des Ratsuchenden drängen. Kartenlegen ist kein Konsumartikel – ein Fehler, auf den Ota bei ihren eigenen Kartendeutungen hereinfiel.

Tatsächlich tat Ota sich nicht so leicht, ihr eigenes Leben wieder auf richtige Bahnen zu bringen. Wunder und Wunderheilungen sind eine Illusion und Versprechen dazu recht inhaltsleer. Ich hatte mit Ota über drei Jahre noch mehrmals zu tun. In dieser Zeit ist sie mir sehr ans Herz gewachsen.
Trotzdem war ich froh, als Ota erzählte, sie habe sich endlich eine Therapeutin gesucht.

Ich hoffe, ich konnte Ihnen hier zeigen, wie stark die Konstellation beachtet werden muss, und wie stark diese auch mit dem Leben verknüpft werden muss. Einzelne Karten für sich bedeuten eigentlich fast gar nichts. Sie haben zu wenig Halt in der Wirklichkeit und die Gefahr einer falschen Deutung ist zu groß.

Liebe Grüße,
Adrian

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