Intelligenz, ADS und Trotzphasen
Gestern unterhielt ich mich mit einer besorgten Großmutter. Sie wollte wissen, ob ihre Enkelin die dritte Klasse besteht. Bei näherem Nachfragen erzählte die Großmutter, dass ihre Tochter bei ihrer Enkelin einen Intelligenztest machen lasse.
Das Kind sei in der Schule unkonzentriert und habe schlechte Noten.
Was ist Intelligenz?
Intelligenztests sind jedenfalls tückisch
Deshalb sind sie auch nicht aussagekräftig. Zumindest dann, wenn man die Aussage als einen Satz nimmt, der die Realität abbildet. Zwar kann eine Aussage tatsächlich etwas abbilden. Wenn ich nämlich sage: Draußen scheint die Sonne! dann ist das eine einfache Tatsache. Sobald ich aber etwas über Dinge sage, die man nicht greifen kann, wird alles anders. Denn was sollte uns schon ein Satz sagen wie: Deutschland geht es gut!, wenn das Gutgehen in Deutschland auf 40% unserer Bevölkerung verteilt ist? Und was soll uns ein Satz sagen wie: Wir müssen die deutsche Kultur retten!? Denn: was bitte schön ist die deutsche Kultur? Vor ein paar Jahren fragte ein Kabarettist Passanten auf der Straße, welche Dramen Goethe geschrieben hat, und einer antwortete allen Ernstes: Schiller. Lustig, oder? Immerhin: ist ein Deutscher, der Goethe kaum kennt, deshalb kein Deutscher? Und vertritt er nicht auch "irgendwie" die deutsche Kultur – wenn auch einige Menschen sagen werden: extrem schlecht!?
Hier – wie öfter – liebe ich die französische Sprache: énoncé, die Aussage, heißt auch Ankündigung. Die Aussage stellt nicht nur die Realität vor – sie stellt sie auch her: vorstellen und herstellen. Das bei Soziologen recht bekannte Thomas-Theorem sagt: If you define something as real, it will be real in ist consequences – wenn du etwas als real definierst, wird es in seinen Folgen real sein. Und insofern sind Intelligenztests natürlich aussagekräftig, weil sie ankündigen, was passiert – dummer Bub bleibt dummer Bub! und ähnliches.
Das Kind sei in der Schule unkonzentriert und habe schlechte Noten.
Was ist Intelligenz?
Intelligenztests sind jedenfalls tückisch
Deshalb sind sie auch nicht aussagekräftig. Zumindest dann, wenn man die Aussage als einen Satz nimmt, der die Realität abbildet. Zwar kann eine Aussage tatsächlich etwas abbilden. Wenn ich nämlich sage: Draußen scheint die Sonne! dann ist das eine einfache Tatsache. Sobald ich aber etwas über Dinge sage, die man nicht greifen kann, wird alles anders. Denn was sollte uns schon ein Satz sagen wie: Deutschland geht es gut!, wenn das Gutgehen in Deutschland auf 40% unserer Bevölkerung verteilt ist? Und was soll uns ein Satz sagen wie: Wir müssen die deutsche Kultur retten!? Denn: was bitte schön ist die deutsche Kultur? Vor ein paar Jahren fragte ein Kabarettist Passanten auf der Straße, welche Dramen Goethe geschrieben hat, und einer antwortete allen Ernstes: Schiller. Lustig, oder? Immerhin: ist ein Deutscher, der Goethe kaum kennt, deshalb kein Deutscher? Und vertritt er nicht auch "irgendwie" die deutsche Kultur – wenn auch einige Menschen sagen werden: extrem schlecht!?
Hier – wie öfter – liebe ich die französische Sprache: énoncé, die Aussage, heißt auch Ankündigung. Die Aussage stellt nicht nur die Realität vor – sie stellt sie auch her: vorstellen und herstellen. Das bei Soziologen recht bekannte Thomas-Theorem sagt: If you define something as real, it will be real in ist consequences – wenn du etwas als real definierst, wird es in seinen Folgen real sein. Und insofern sind Intelligenztests natürlich aussagekräftig, weil sie ankündigen, was passiert – dummer Bub bleibt dummer Bub! und ähnliches.
Zweierlei Fähigkeiten
Intelligenztests testen heute fast immer fluid abilities (flüssige Fähigkeiten) und cristallized abilities (kristallisierte Fähigkeiten). Mathematische Fähigkeiten, kulturelles Wissen, usw. sind cristallized abilities. Sie helfen zwar, einen Prozess zu strukturieren. Aber dies sind nicht die Fähigkeiten, einen Prozess sorgsam durchzuführen (vor allem, wenn es ein offener, kreativer Prozess ist).
Sprache
Sprache ist beides. Sprache besteht aus zahlreichen Mustern: Satzmustern, Erzählmustern, Höflichkeitsformen, Wortfeldern („Wir lernen heute das Wortfeld Bauernhof! – Wem fällt etwas zum Bauernhof ein?“), usw. Auf der anderen Seite sind diese Muster nur lose miteinander verkoppelt. Wie sie aneinander gefügt werden, wie aus Sprachmustern ein Roman, eine Rede, ein Streit oder eine Gerichtsverhandlung werden, ist die Sache der fluid ability.
Erzählungen
In Erzählungen mischen sich diese beiden Fähigkeiten andauernd. Die cristallized ability ist das fraglos gegebene, auf das wir uns stützen, wenn wir eine Geschichte schreiben. Die Welt ist voller Vasen, Hunde und Windstöße, die einem den Hut vom Kopf reißen können. Dass die Vase einem auf den Kopf fällt, gerade in dem Moment, in dem ein Windstoß den Hut mit sich nimmt, woraufhin ein Hund einen ins Bein beißt, ist dagegen ungewöhnlicher. Das neu Erzählte und ungewöhnlich Kombinierte wird durch die fluid abilities gewährleistet. Problemlösen ist eine fluid ability und Schreiben ist eine Form des Problemlösens.
Oberfläche und Untergrund der Intelligenz
Man ist sich heute ziemlich sicher, dass die Oberflächenintelligenz eine Mischform ist. Die Psychologen hat das dazu veranlasst, aus den Fähigkeiten, die ein Mensch zeigt, dahinter liegende Fähigkeiten des Denkens zu erschließen.
Aus den traits (Züge; im Sinne von Spielzug) – den offensichtlichen Fähigkeiten – zieht man latent traits (verborgene Züge) – dahinter liegende Fähigkeiten.
Dazu gehört z.B. die Mengenerfassung: wer drei Dinge auf einmal erfassen kann, ist schwachsinnig, wer sieben Dinge auf einmal erfassen kann, ist hochbegabt. Alle anderen Menschen liegen dazwischen. Erfassen heißt hier: aus einem flüchtig aufblitzenden Bild die Zahl der Gegenstände (die Menge) erfassen.
Zahlreiche Intelligenztests arbeiten noch nicht mit den latent traits, obwohl man dies mittlerweile garnicht mehr anders vertreten soll. Der bekannteste Intelligenztest – der HAWIK – leistet dies nicht. Ein anderer Intelligenztest – der K-ABC – bietet das als wesentlich an: aber in der Praxis wird darauf fast nie zurückgegriffen, weil die Praktiker (Sonderpädagogen zum Beispiel) die Notwendigkeit nicht verstehen, oder, wie ich festgestellt habe, schlichtweg zu faul sind, sich in diese Theorien einzuarbeiten (der K-ABC bietet eine leicht verständliche und kurze Einführung in seinem Manual an – der Praktiker sollte dieses eigentlich gut zur Kenntnis genommen haben).
Sprache und Intelligenz
Natürlich hat man recht, wenn man Intelligenz eng an die Sprache koppelt.
Das liegt allerdings vor allem daran, dass ein Mensch, der sich gut ausdrücken kann, auch seine Intelligenz gut vermitteln kann. Menschen können auch intelligent sein, wenn sie sich nicht gut ausdrücken können.
Sich intelligent auszudrücken ist also ein Zeichen von Intelligenz, sich nicht intelligent auszudrücken heißt noch lange nicht, dass der Betreffende dumm ist: es könnte auch sein, dass er dumm gemacht wird (die sogenannte Pseudo-Dummheit).
Hochbegabte Kinder landen ja irgendwo. Ein Freund hat seine Kindheit auf der Geistigbehindertenschule verbracht, dann seinen Hauptschulabschluss, sein Realschulabschluss, sein Abitur erkämpft und schließlich Pädagogik studiert, nur um dann festzustellen, dass er so ziemlich alle seine Kollegen zum Kotzen findet. Heute ist er (erfolgloser) freier Autor. Und schreibt natürlich seit vielen Jahren an seiner Biographie.
Schluss
Ich werde nicht versuchen, eine bessere Definition von Intelligenz zu geben. Warum auch? Ich finde, dass eine Warnung genügt.
Intelligenzquotienten sind deshalb so beliebt, weil man sie rasch präsentieren kann. Bitte: 137! Noch Einwände? – Natürlich nicht! Wer hat denn schon einen IQ von 137?
Natürlich kenne ich auch solch einen Menschen. Der hat sogar einen IQ von 142. Nur: dieser Mensch ist verbittert – und eigentlich grundlos verbittert. Er verdient anständig Geld, und muss sich um kaum etwas Sorgen machen. Aber wenn er sich mit Menschen unterhält, verlässt er sich darauf, dass er notwendig besser ist. Und schafft es noch nicht einmal, ein einfaches Buch fertig zu lesen. Wir sind uns sofort in die Haare geraten. Ich habe keinen IQ von 142. Zumindest glaube ich das. Aber ich habe immer viel gearbeitet. Und ich kann es auf den Tod nicht ausstehen, wenn man sein Wissen dazu benutzt, andere schlecht zu machen, sei es in Form von Mobbing, sei es in der Form, dass man jemanden als dumm bezeichnet, der etwas nicht weiß. Erstens hat dieser Mensch aber genau das getan: andere Menschen für dumm erklärt. Zweitens hat er selbst aber so oft alberne Aussagen gemacht, dass man an seiner Intelligenz zweifeln musste.
Nein, nein. Mir ist ein Mensch, mit dem ich mich offen unterhalten kann, lieber, als so ein verstockter Schnösel. Die Besitzerin von "meinem" Zeitschriftenladen zum Beispiel. Sicher: man kann sich nicht mit ihr über die neueste Psychologie unterhalten. Aber das, was um sie herum passiert, beobachtet sie mit wachen Augen. Und kann dies dann in schönen und oft auch guten Worten erzählen. Weil sie ehrlich ist, weil sie sich für nichts Besseres hält als andere Menschen. Dadurch kann sie Sachen sehen, die ich so nicht sehen kann. Und dadurch ist sie mir ein wertvoller Mensch. – So einfach ist das!
Und die Enkelin?
Aufmerksamkeit
Die Großmutter erzählte, dass das Kind oft nicht aufmerksam sei. Sie lebe in einer Traumwelt.
Die moderne Hirnforschung weiß, dass das Gehirn immer aufmerksam ist. Mal ist es für etwas in der Umwelt aufmerksam, mal ist es für sein eigenes Denken aufmerksam. Wenn das Gehirn für sein eigenes Denken aufmerksam ist, nennt man dies gewöhnlich Reflexion. In Wirklichkeit aber gehören auch Träume dazu. Träume sind nicht nur – wie man dies üblicherweise liest – Ausdrücke von Vergangenheit. Träume helfen mit, das Denken zu ordnen. Träumen macht intelligent! – Natürlich nicht alleine das Träumen, aber eben auch.
Wenn das Gehirn nun immer aufmerksam ist, muss uns das doch seltsam erscheinen, nicht wahr?
Was ist denn zum Beispiel mit all den Kindern, die ADS haben, das Aufmerksamkeitsdefizit-Syndrom? Die sind doch bestimmt nicht aufmerksam, oder?
Doch, doch, sind sie.
Auch solche Kinder haben immer eine für das Gehirn perfekte Aufmerksamkeit. Das Problem liegt hier tatsächlich ganz woanders. Aufmerksamkeitsdefizite sind immer "sozial". Man könnte auch sagen: das Kind hat eine unangepasste Aufmerksamkeit.
Wir – als Erwachsene – müssen hier zweierlei tun:
1. Wir müssen uns auf die Aufmerksamkeit des Kindes einstellen, statt – wie fast immer – das Kind dazu zu zwingen, sich auf unsere Aufmerksamkeit einzulassen. Meist überfordern wir ein Kind damit und machen es noch unruhiger, als es sowieso schon ist.
2. Wir müssen dem Kind dabei helfen, dass ihm möglichst viel interessant bleibt. Das heißt, wir müssen dem Kind gegenüber möglichst ehrlich sein, ihm möglichst auch alles erklären – eine schwierige Aufgabe, das gebe ich zu, aber keine unmögliche und eigentlich auch eine selbstverständliche. Der Trost dabei ist: wir können dem Kind sogar erklären, warum wir uns geirrt haben oder warum wir etwas nicht wissen. Und wir können ihm beibringen, sich selbst Gedanken zu machen und sich selbst zu informieren.
Kinder, die in Traumwelten leben, brauchen einen ähnlichen Blick. Damit die Traumwelt des Kindes realer wird, müssen wir dem Kind zunächst helfen, diese Traumwelt darzustellen. Darüber sprechen ist hier eine Möglichkeit, überfordert Kinder aber oft noch. Malen ist eine andere Möglichkeit. An einem gemalten Bild kann man mit dem Kind dann sehr viel besser über die Traumwelt sprechen. Dabei ist aber zweierlei dringend zu beachten:
1. Nie! darf man das Kind zwingen, über ein Bild zu sprechen oder gar das Bild zu malen. Dadurch verschreckt man das Kind nur. Hier ist eher ein geschicktes Vorgehen gefragt. Etwa so: "Oh! Ist das ein Elefant?" (ich deutete auf ein nettes Krickelkrakel) – "Das ist doch meine Mama!" (sagte das Mädchen) – "Was ist das denn hier?" (ich deutete auf einen Strich, der wie ein "Ausrutscher" aussieht) – "Da macht die Mama Kuchen, die backt." – "Warum backt die Mama denn?" – "Weil ich Geburtstag habe." – "Hast du heute Geburtstag?" – "Nein! Immer."
2. Heben Sie die Bilder auf und schauen Sie sich diese ab und zu mal wieder an. Wiederholen Sie Gespräche über Bilder!
Seien Sie nicht allzu beunruhigt, wenn das Kind seltsame Sachen zum Bild erzählt, oder wenn es mal keine Lust hat zu malen, auch wenn dies ein halbes Jahr dauert. Kinder nehmen sich ihre Zeit und solange sie wissen, dass ihre Bilder zu Aufmerksamkeit (!) durch Mama, Papa, Oma oder Opa führen, solange werden sie immer wieder aufs Malen zurückkommen. Mit der Zeit werden Sie auch sehen, dass Kinder immer durchdachter malen.
Das ist vielleicht das dritte, auf das Sie achten müssen: es kommt nicht darauf an, dass das Kind Reales malt. Es kommt darauf an, wie planvoll es seine Bilder malt. Das Planen kommt fast von alleine, wenn man mit dem Kind immer wieder über seine Bilder spricht.
Wenn wir all dies zusammenfassen, dann können wir sagen:
Sprechen-dürfen ist ein großes Heilmittel, Sprechen-müssen dagegen ein (fast tödliches) Gift.
Trotzphasen
Was mir die Großmutter – fast nebenbei – erzählt hat, ist, dass ihre Enkelin schon immer ein sehr braves Kind war.
Da musste ich doch mit der Stirn runzeln. Fast kein Kind ist während der Trotzphase (3.-5. Lebensjahr) brav. Im Gegenteil. In diesem Alter treiben Kinder ihre Eltern oft in den Wahnsinn.
Warum machen die Kinder das? Ganz einfach: sie lösen sich von den Eltern ab und werden eigenständige kleine Personen. Dies ist der erste große Test für Kinder, wie sie nach außen hin wirken, wie viel Streit sie eingehen dürfen, ob sie selbstbewusste, starke Persönlichkeiten sein dürfen.
Nicht nur das. Die Forschung weiß auch, dass Kinder verhaltensauffällig werden, wenn sie keine Trotzphase durchleben. Die Trotzphase fehlt bei Kindern, die nur verwöhnt werden (die müssen natürlich nie trotzen, sondern immer nur mit dem kleinen Finger schnippen), und die Trotzphase fehlt bei Kindern, die entmutigt sind.
Manchmal werden auch Kinder beides: durch die Mutter entmutigt und durch den Vater verwöhnt. Aber besser ist dieses Mischmasch auch nicht.
Klare Regeln sind hier das eine, was wichtig ist. Klare Regeln für die Kinder? Natürlich. Allerdings sollten Sie dabei immer bedenken, dass klare Regeln für Kinder auch bedeutet: klare Regeln für Eltern. Und das scheint mir meist eher das Problem zu sein. Viele Eltern sind ja nicht bereit, die klaren Regeln dann auch liebevoll durchzusetzen.
Die Enkelin hat keine Trotzphase durchlebt. Sie ist – so erzählte die Großmutter – manchmal weinerlich, und häufig sehr anhänglich.
Dem Kind fehlt, sagte ich, die Aggression.
Die Großmutter war entrüstet. Wir sind doch froh, dass sie wenigstens auch noch brav ist. Wenn sie schon nicht gut in der Schule ist.
Aber wahrscheinlich ist das Kind deshalb schlecht in der Schule, weil es brav ist. Zu brav eben. Schon immer zu brav – und immer ein Schaf.
Der Großmutter konnte ich wenig empfehlen. Ihr waren die Zusammenhänge zu fremd. Sie selbst ist kurz vor Beginn des zweiten Weltkriegs geboren worden. Ihre Kindheit war von Armut gezeichnet. Armut ist zwar bitter, aber in diesem Fall auch klar: Armut überlegt sich eben nicht, dass sie dann auch mal Reichtum sein könnte. Die Armut stößt ihre eigenen Regeln nicht um. Armut ist "irgendwie" ein guter Erzieher.
Das ist heute ganz anders. Man darf zwar froh sein, dass man immer weiß, dass man auch morgen etwas zu essen bekommt, aber die Erziehungsregeln müssen für Kinder trotzdem weiterhin klar sein. Hier sind die Eltern sehr viel mehr mit ihrem Wissen und ihrem Willen gefordert.
Abschluss
Viele Erziehungssorgen sind Karrieresorgen.
Die Kinder müssen von Beginn an in der Schule gut sein, egal, wie ihre individuelle Entwicklung verläuft. Vermutlich hat es schon immer Kinder mit einem Aufmerksamkeitsdefizit gegeben. Aber seit zwanzig Jahren hat man daraus ein ernsthaftes Problem gemacht. Leider führt dies allzu häufig dazu, dass man zwar darüber nachdenkt, wie man dem Kind helfen könnte, aber nicht, was in der Gesellschaft falsch läuft.
Unsere Karrieregesellschaften, das ganze Reden von verpassten Lebenschancen, die unsolidarischen Lebensformen, der Verregelung unserer Gesellschaft, die fehlenden Freiräume für Kinder, all dies führt zu massivem Stress, auch für Kinder.
Statt darüber zu jammern, sollten wir ihnen lieber Respekt zollen, dass sie - die Kinder - eigentlich immer noch recht einfach sind und nicht noch sehr viel schlimmer.
Die sinnliche Umgebung und das praktische Tun jedenfalls sollte uns allen wieder mehr Wert sein. Ein intelligenter Mensch ist so lange dumm, solange er dumm handelt. Intelligenz muss immer wieder geübt und unter Beweis gestellt werden. Wittgenstein schrieb mal: "Sich auf seinen Lorbeeren auszuruhen ist wie auf einer Schneewanderung auszuruhen, - du nickst ein und stirbst im Schlaf."
Wir - als Eltern - müssen zu einem freieren, ungezwungener Sprechen zurückkommen. Nur so können wir unsere Kinder zu einem freien und offenen Sprechen erziehen. Wie wichtig Sprache insgesamt ist, habe ich oben angedeutet. Peter Sloterdijk hat vor Jahren eine Vorlesung gehalten, die Zur Welt kommen. Zur Sprache kommen heißt. Das macht mir Sinn.
Übrigens: Von der spirituellen Entwicklung in dieser Gesellschaft mag ich jetzt gar nicht erst anfangen.
Euer
Adrian
3 Kommentare:
Hallo Adrian,
ich habe diesen Artikel mit großem Interesse gelesen und Vieles an ihm hat mich an eigene Erfahrungen aus meiner Kindheit erinnert. Insbesondere das Verträumt sein und das Fehlen von Aggression.
Beide "Symptome" traten auch bei mir auf, allerdings noch vor einem anderen Hintergrund, als die, die Du hier erläutert hast:
Ich war Linkshänderin und wurde von meinen Eltern - und später auch von der Schule - umgeschult.
Nach Dr. J. B. Sattler haben linkshändige Kinder oft dieses verträumte Verhalten, leben in einer "anderen Welt", weil bei ihnen die rechte Gerhirnhälfte, die für vernetztes, ganzheitliches und kreatives Denken verwendet wird, dominant ist. Das ist auch der Fall, wenn die Linkshändigkeit unerkannt bleibt, weil die Kinder sich, um sich anzupassen, selbst unbemerkt umschulen.
Ich würde deshlab bei Kindern mit solchen "Verhaltensauffälligkeiten" immer auch die Empfehlung geben, einen Händigkeitstest bei einem Linkshandberater durchzuführen.
Denn für meine Begriffe ist eine Umschulung, bewusst oder unbewusst, gewollt oder versehentlich, eine Vergewaltigung für den Umgeschulten.
Für weitere Fragen stehe ich gerne zur Verfügung und empfehle auch die Literatur von Frau Dr. Sattler.
Liebe Grüße
Schwarze Wölfin
Hallo Schwarze Wölfin!
Das mit der Linkshändigkeit ist sicherlich ein wichtiger Aspekt. Leider - oder zum Glück - aber nicht der einzige. Aufmerksamkeitsdefizite entstehen aus vielerlei Gründen.
Mein ältester Sohn ist nach unserem Umzug im neuen Kindergarten wohl von der Erzieherin dort gewürgt worden - und obwohl wir massiv dagegen vorgegangen sind und unserem Sohn sehr beigestanden haben, hat er über zwei Jahre starke Ängste entwickelt und ist seitdem immer noch sehr überangepasst gegenüber Lehrern und - weil er eigentlich sehr offen und neugierig ist und sich in der Schule oft langweilt - andererseits sehr nervös, impulsiv und unangepasst, auch sehr verträumt.
Was das Wort Vergewaltigung angeht, bin ich leider pingelig: Frauen werden vergewaltigt - sexuell misshandelt -, Männer manchmal auch, Kinder sowieso viel zu oft (die Zahl größer null ist hier viel zu oft). Hier mag ich überhaupt nicht diese Vermischung, damit das Wort Vergewaltigung auch klar heißt Vergewaltigung und niemand auf die Idee kommt, darunter eine Umerziehung zur Rechtshändigkeit zu verstehen. Natürlich ist auch das Gewalt.
Adrian
Hallo Adrian!
Ich bin ganz entsetzt darüber, was Dein Sohn für Erfahrungen machen musste und kann mir sehr gut vorstellen, dass sein Verhalten davon heute noch beeinflusst ist.
Über das Wort "Vergewaltigung" möchte ich mich nicht streiten. Ich akzeptiere, dass Du in diesem Bereich keine Vermischung der Begrifflichkeiten haben möchtest.
Ich will auch nicht weiter darüber reden, welchen Namen man einer Umschulung der Händigkeit geben sollte. Für mich ist das Wort "Gewalt" zu sparsam und ich tendiere in diesem Zusammenhang dann schon eher zu dem Wort "Missbrauch". Aber das mag an meinem eigenen Erfahrungsschatz liegen.
Liebe Grüße
Schwarze Wölfin
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